Dieser Artikel  
	 
	ist
  erschienen in der Zeitschrift
  "Grenzgebiete der Wissenschaft" Heft 3 und 4 
  Jahrgang 45 (1996)  ISSN 10218130.  Abdruck
  mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
  
  
  
	 
  
  
	 
  
  
	      
  
  
  
  
  
	      
  
  
  
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	Über
  den Autor
  
  
  
	
  Gerhard Adler, geb. 1941, Anglistik- und Geschichtsstudium, als Publizist
  vorwiegend an Fragen der Weltanschauung und des Menschenbildes interessiert.
  Leiter der Abteilung Literatur im Radioprogramm des Südwestfunks
  Baden-Baden. Von seinen Veröffentlichungen seien erwähnt: Revolutionäres
  Lateinamerika (1970); Die Jesus-Bewegung. Aufbruch der enttäuschten
  Jugend (1972); Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde....
  Parapsychologie, Okkultismus und Religion (1974 und 1976); Wiedergeboren
  nach dem Tode? Die Idee der Reinkarnation (1977, 1980 und 1986); Erinnerung
  an die Engel. Wiederentdeckte Erfahrungen (1986); Die Engel des
  Lichts. Von den Erstlingen der Schöpfung (1992); als Herausgeber: Tausend
  Jahre Heiliges Rußland. Orthodoxie im Sozialismus {1987 und 1988); Komm,
  Trost der Nacht. Ein Brevier {1989).
  
  
  
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	Zusammenfassung
	
  
  
   
  
  
   
  
  
  
	ADLER,
  Gerhard: „Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich". Origenes -
  Ketzer oder Kirchenvater?  
  
  
  
	Auf
  Origenes von Alexandreia (185-254) beruft sich die wachsende Zahl von Zeitgenossen,
  die sich für die Idee der Seelenwanderung erwärmt. Die Kirchengeschichte
  gedenkt seiner stets mit Superlativen: als des ersten, des größten
  Theologen, aber auch als des Erzhäretikers. Wer jedoch hat schon genau
  gelesen, was in dessen umfangreichem Werk wirklich steht? Es gibt kaum eine
  bibel- und kirchenkritische These unserer aufgeklärten Schriftgelehrten von
  heute, die nicht schon zu Origenes' Zeiten die Gemüter bewegt hätte. Nur
  dies hat es bei Origenes nicht gegeben: die ermüdende Anthropozentrik der
  heutigen Theologie, die permanente Beschäftigung der Kirche mit sich selbst.
  Diese Häresie der lähmenden Selbstbespiegelung findet sich beim amtlich
  verurteilten Häretiker Origenes nicht, dafür aber eine erfrischende Sicht
  auf Mensch, Welt und Gott, eine vitale Auseinandersetzung mit den Gegnern
  von Juden und Christen im Hellenismus, bei der man im großen und ganzen alles
  vorgedacht findet, was uns heute noch weltanschaulich umtreibt. 
  
  
  
  
  
   
  
  
   
  
  
  
	 
  
  
  
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	I. ORIGENES
  UND SEINE ZEIT
  
  
  
	„Welcher
  vernünftige Mensch wird annehmen, ,der erste, zweite und dritte [Schöpfungs-]
  Tag sowie Abend und Morgen' seien ohne Sonne, Mond und Sterne geworden und der
  sozusagen erste sogar ohne Himmel? Wer ist so einfältig zu meinen, ,Gott
  habe' wie ein Mensch, der Bauer ist, ,im Osten einen Park in Eden gepflanzt'
  und darin einen sichtbaren und mit den Sinnen wahrnehmbaren ,Baum des
  Lebens' geschaffen, so daß man, wenn man seine Frucht mit den leiblichen Zähnen
  genoß, das Leben empfing, dagegen am ,Guten und Bösen' Anteil erhielt, wenn
  man von dem entsprechenden Baum nahm und aß? Wenn es weiter heißt, ,Gott sei
  am Abend im Park gewandelt' und ,Adam habe sich unter dem Baume versteckt',
  dann wird, glaube ich, niemand daran zweifeln, daß dies bildlich mittels
  einer nur scheinbar und nicht leibhaftig geschehenen Geschichte auf gewisse
  Geheimnisse hinweist. Aber auch wenn ,Kain aus Gottes Angesicht geht', ist
  es den Tieferblickenden klar, daß dies den Leser veranlaßt zu untersuchen,
  was das Angesicht Gottes und das Daraus-Fortgehen bedeuten. [...]
  
  
  
	Sogar
  die Evangelien sind voll von Darstellungen derselben Art, (z. B.) wenn der
  Teufel Jesus ,auf einen hohen Berg' führt, um ihm von dort .die Königreiche
  der ganzen Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen'. Denn wer von denen, die
  derartige Stellen nicht bloß oberflächlich lesen, würde nicht die Meinung
  verwerfen, mit dem leiblichen Auge, das Höhe braucht, um das tiefer Gelegene
  wahrnehmen zu können, sei das Reich der Perser, Skythen, Inder und Parther
  und die Verherrlichung der Könige durch die Menschen erblickt worden?" 
	1
  
  	
  
  
	 
  
  
  
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  1. Schriftverständnis
  
  
  
	Diese Bemerkung zu sachgemäßem Verständnis
  der Heiligen Schrift stammt nicht etwa von einem aufmüpfigen,
  historisch-kritisch arbeitenden Exegeten unserer Tage. Die Fragestellung wirkt
  zwar durchaus gegenwärtig und mag sogar — für Unkundige in der
  Bibelwissenschaft - als aufklärerisch erscheinen. Doch das Zitat wurde
  schon um 225 niedergeschrieben, ist also an die 1770 Jahre alt. Somit steht es
  ganz am Anfang des Bemühens seitens der Christen, ihre Bibel methodisch zu
  durchdenken. ORIGENES, der Verfasser dieses Textes, bringt schon - ein gutes
  Jahrhundert nach der Entstehung des Neuen Testaments - so ziemlich alle
  Probleme auf den Punkt, die einen jeden umtreiben, der ernsthaft mit der
  Schrift befaßt ist. So kümmert sich ORIGENES bereits um einen zuverlässigen
  Originaltext der Bibel, also um philologische Genauigkeit. Die ungezählten
  inhaltlichen Probleme, an denen noch die heutigen Leser Anstoß nehmen
  - in unserem Beispiel ist es der Schöpfungsbericht -, will er mit einer
  Methode lösen helfen, die von drei verschiedenen Sinnebenen der einzelnen
  Stellen ausgeht. So wie der Mensch in Leib, Seele und Geist gegliedert sei,
  meint ORIGENES mit so manchem jüdischen Gelehrten seiner Zeit, so sei auch in
  vielen Bibelstellen ein quasi körperlicher Sinn auszumachen, nämlich das
  ganz primäre wörtliche Verständnis; ferner eine übertragene Bedeutung, die
  der Psyche entspreche; schließlich sei da noch ein geheimnisvoller dritter
  Sinn, der sich nur dem geistbegabten Menschen erschließe. Diese Lehre vom dreifachen
  Schriftsinn, dem leiblichen, dem seelischen und dem geistlich-pneumatischen,
  findet also ihre Entsprechung in der origeneischen Anthropologie.
  
  
  
	Auch
  in Schriftworten, die man Jesus persönlich zuschreibt, sucht ORIGENES nach
  einem verborgenen Sinn.
  
  
  
	 
  
  
  
	„Was könnte unvernünftiger sein als das Wort: ,Grüßet
  niemanden unterwegs!', das nach Meinung der schlichten Gläubigen der Erlöser
  den Aposteln aufgetragen hat? Aber höchst unglaubwürdig ist auch das Wort
  vom Schlag auf die rechte Backe, da beim Schlagen jeder, wenn er nicht etwa
  ein Gebrechen hat, mit der rechten Hand auf die linke Backe schlägt. Unmöglich
  ist es sodann, dem Evangelium abzunehmen, daß ,das rechte Auge Anstoß
  bereitet'. Denn selbst wenn wir einmal zugeben, daß im Sehen jemand Anstoß
  nehmen kann: wieso muß man, da doch beide Augen sehen, die Schuld auf das
  rechte schieben? Wer würde denn, wenn er sich beschuldigen muß, ,eine Frau
  so angesehen zu haben, daß er sie begehrte', die Schuld einzig auf das rechte
  Auge schieben und dieses zu Recht .ausreißen'? [...] Alles dies haben wir
  gesagt, um zu zeigen, daß die göttliche Kraft, die uns die heilige Schrift
  schenkt, nicht das Ziel verfolgt, wir sollten allein das vom Wortlaut Dargebotene
  aufnehmen; denn dies ist zuweilen im Wortsinn nicht wahr, sondern sogar unvernünftig
  und unmöglich. (Weiter wollen wir zeigen,) daß in die wirkliche Geschichte
  und die im Wortsinn nützliche Gesetzgebung einiges andere hineingewoben ist.
  Doch soll niemand annehmen, wir sagten dies ganz allgemein, es habe sich gar
  keine Geschichte (in der Schrift) zugetragen, weil sich manche nicht
  zugetragen hat, und man habe gar kein Gesetz wörtlich zu befolgen, weil
  manches Gesetz im Wortlaut unvernünftig oder unmöglich ist, oder die
  Aufzeichnungen über den Erlöser seien als sinnliche Wirklichkeit nicht wahr
  oder keines seiner Gesetze oder Gebote sei zu befolgen. [...] die
  geschichtlich wahren Stellen sind viel zahlreicher als die hineingewobenen
  rein geistlichen Stellen. [...] Der wissenschaftlich Gebildete wird allerdings
  in manchen Fällen schwanken und ohne eingehende Prüfung nicht entscheiden können,
  ob der betreffende als geschichtlich geltende Bericht im Wortsinne geschehen
  ist oder nicht und ob der Wortlaut eines bestimmten Gebotes zu befolgen ist
  oder nicht."2
  
  
  
  
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	2. Hexapla
  
  
  
	Die Spitzfindigkeiten der Bibelausleger haben
  also eine lange Geschichte. ORIGENES selbst steht bereits in der Tradition
  rabbinischer Gelehrsamkeit. Und was nun die christliche
  Auseinandersetzung mit dem Bibeltext angeht, deren wissenschaftliches oder
  doch zumindest methodisches Herangehen, so beginnt dies mit ORIGENES.
  
  
  
	Vor
  aller Deutung jedoch muß es dem ernsthaften Bibelforscher um die Frage gehen:
  Was steht denn wirklich da im Wortlaut der Schrift und wie zuverlässig ist
  dieser Wortlaut uns überliefert? ORIGENES wollte auch dieses Problem lösen.
  Staunend und bewundernd steht man vor den auf uns gekommenen Resten seiner
  sechsspaltigen Bibelausgabe, einem zu seiner Zeit ungeheuren Unterfangen. Die Hexapla, so ihr griechischer Name, an der er von 228 an sein weiteres Leben
  lang gearbeitet hat, diese „Sechsfache" enthält zunächst den Text der
  hebräischen Bibel, dem in einer zweiten Kolumne die Aussprache des hebräischen
  Wortlautes in griechischen Buchstaben folgt; dann stehen vier, teilweise
  noch mehr Übersetzungen des Alten Testaments in griechischer Sprache zum
  Vergleich nebeneinander. Das Hauptanliegen des ORIGENES war es, die berühmte
  Septuaginta, also die von jüdischen alexandrinischen Gelehrten in
  vorchristlicher Zeit ins Griechische übersetzte Heilige Schrift, mit dem hebräischen
  Urtext vergleichen zu können. Da beide Texte, der hebräische und der
  griechische der Septuaginta, zu seiner Zeit sozusagen als göttlich
  inspiriert, geradezu diktiert betrachtet wurden, auch von ORIGENES selbst, ist
  dessen Freimut erstaunlich, mit dem er nach allen Künsten der philologischen
  Akribie die kleinen und großen Unterschiede, Abweichungen und Auslassungen
  mit textkritischen Zeichen markiert. ORIGENES steht also christlicherseits am
  Anfang der wissenschaftlichen Schrifteditionen. Er hat zu diesem Zweck die
  hebräische Sprache erlernt und sich nicht gescheut, bei jüdischen Gelehrten
  Rat einzuholen.
  
  
  
	Freunde
  und Anhänger, aber auch seine Gegner sprechen von ORIGENES ausnahmslos in
  Superlativen. Im wissenschaftlichen Rang, im Guten wie im Bösen ist er stets
  der Erste, der Größte, aber auch der Schlimmste aller Häretiker nämlich,
  der Häresiarch. Er gilt nicht nur als der Begründer der Bibelwissenschaft,
  sondern als der größte Theologe des christlichen Altertums überhaupt, und
  gleichzeitig als der Erzketzer. Was weiß man eigentlich von ihm? Welche
  Fakten bleiben nach so vielen Jahrhunderten bestehen vor dem kritischen
  Blick der Wissenschaftler, wenn man hagiographische Schönfärbereien und
  unberechtigte Verunglimpfungen gleichermaßen auszuscheiden bemüht ist?
  
  
  
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	3. Leben
  
  
  
	Es spricht für die Bedeutung des ORIGENES
  bereits zu seinen Lebzeiten, daß EUSEBIOS in seiner berühmten
  Kirchengeschichte ein ganzes Buch, das sechste, weitgehend dem ORIGENES
  widmet. Aus dieser auf 312 datierten Quelle, aus der erhaltenen
  Korrespondenz, aus den wenigen autobiographischen Rückschlüssen, die sich
  aus den origeneischen Werken selbst ziehen lassen, entwerfen die Historiker
  das folgende biographische Gerüst:
  
  
  
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	a) Jugend
	
  
  
  
	Alexandreia
  in Ägypten ist vermutlich die Geburtsstadt unseres ORIGENES. Sein Name ist
  zwar ägyptisch-heidnisch, bedeutet er doch der „von Horus Geborene",
  doch sein Elternhaus bekennt sich zum Christenturn. Mehr noch: Der Vater Leonides,
  vermutlich römischer Staatsbürger, wird im Jahre 202 unter Kaiser Septimius
  Severus wegen seines religiösen Bekenntnisses enthauptet. Da sein Sohn in
  diesem Zusammenhang als siebzehnjährig erwähnt wird, kann man auf das Jahr
  185/86 als Geburtsjahr des ORIGENES schließen.
	
  
  
  
	Hier
  setzt auch das sechste Buch der Kirchengeschichte des EUSEBIOS von Kaisareia
  ein, unsere wichtigste und ausführlichste biographische Quelle, die möglicherweise
  schon eine Tendenz zu legendärer Ausschmückung enthält. Doch sie beruht
  auf Aussagen von Zeitgenossen und auf Originaldokumenten. Es heißt da zum
  Beispiel über den religiösen Eifer des Märtyrersohns:
  
  
  
	„Da
  erfaßte auch die Seele des noch jugendlichen Origenes die Begeisterung für
  das Martyrium, so daß er sich geradewegs in die Gefahren begeben und in den
  Kampf stürzen wollte. Es hätte nun nicht viel gefehlt, und er hätte sein
  Leben eingebüßt, wenn nicht die göttliche, himmlische Vorsehung zum Nutzen
  vieler durch seine Mutter seinem Eifer entgegengetreten wäre. Zunächst bestürmte
  ihn die Mutter mit Worten und bat ihn, Rücksicht auf ihre mütterliche Liebe
  zu nehmen. Als sie aber sah, daß er auf die Nachricht von der Gefangennahme
  und der Einkerkerung des Vaters ganz im Verlangen nach dem. Martyrium
  aufging und sich noch leidenschaftlicher darnach sehnte, versteckte sie alle
  seine Kleider und nötigte ihn so, zu Hause zu bleiben. Doch da ihn der für
  sein Alter ungewöhnlich große Eifer nicht in Ruhe ließ und er nicht untätig
  bleiben konnte, schickte er, weil er nichts anderes tun konnte, an den Vater
  einen Brief mit der dringlichen Aufforderung zum Martyrium. Wörtlich mahnte
  er ihn darin: ,Hab acht, daß du nicht unsertwegen deine Gesinnung änderst!"3
  
  	
  
  
	Da
  das große Vermögen des Vaters der kaiserlichen Schatzkammer zufiel, mußte
  er mit seinen Angehörigen an den lebensnotwendigen Dingen Mangel leiden.
  Allein Gott würdigte ihn seiner Fürsorge."4
  
  	
  
  
	Der Siebzehnjährige, offenbar hochbegabt und
  frühreif, muß nun für die Mutter und sechs jüngere Geschwister sorgen. Er
  tut dies als „Grammatiklehrer". Eine reiche christliche Dame kommt zu
  Hilfe; sie unterstützt das jugendliche Genie, das auf diese Weise auch noch
  den Studien nachgehen kann.
  
  
  
	ORIGENES
  wirkt in einer Zeit wiederholter Christenverfolgungen. Für die geistig
  aufgeschlossenen Zeitgenossen bedeutet die Bekämpfung der jungen Gemeinschaft
  eine Herausforderung, sich mit der neuen Religion zu befassen; wenn Menschen
  Kerker, Folter, Flucht und Tod auf sich nehmen, muß von dieser christlichen
  Lehre offenbar eine besondere Kraft ausgehen. Da der Klerus Alexandreia
  verlassen hat, übernimmt es der noch jugendliche ORIGENES, die neuen
  Christen und die in weltanschaulich aufgewühlter Zeit Suchenden in der
  Lehre der Kirche zu unterweisen. Achtundzwanzig Jahre lang, heißt es, habe er
  die Katechetenschule in Alexandreia geleitet.
  
  
  
	„Origenes
  stand im 18. Lebensjahre, als er Vorsteher der Katechetenschule wurde. Hier
  erzielte er zur Zeit der Verfolgungen des Aquilas, des Statthalters von Alexandreia, große Erfolge und erwarb sich durch seine Freundlichkeit und
  seine Gefälligkeit, die er gegen alle heiligen Märtyrer, unbekannte und
  bekannte, bewies, bei allen Gläubigen einen sehr gefeierten Namen. [...] Er wäre
  auch, wenn er so mutig zu den Märtyrern trat und sie offen und frei mit einem
  Kusse begrüßte, oftmals von dem herumstehenden wütenden Pöbel fast
  gesteinigt worden, wenn er nicht ein für allemal unter dem Schütze der göttlichen
  Rechten gestanden und so stets auf wunderbare Weise entkommen wäre."5
  
  	
  
	Der Nachwelt eingeprägt hat sich ein eher
  pikantes Ereignis, das auch EUSEBIOS erwähnt: die Selbstkastration. In
  asketischem Übereifer wollte der jugendliche ORIGENES sich und die schönen
  Ägypterinnen in der Katechetenschule vor Versuchungen des Fleisches
  bewahren. Später wird er selbst in seinen Bibelkommentaren diese Tat als
  unangemessen bezeichnen. Bei einigen Forschern ist diese Episode umstritten,
  jedenfalls hat sie keinen erkennbaren Einfluß auf seine Wesensart gehabt.
  Bei EUSEBIOS lesen wir:
  
  
  
	„Origenes,
  der in dieser Zeit an der Katechetenschule zu Alexandreia wirkte, vollzog eine
  Tat, die zwar noch unreifen jugendlichen Sinn verriet, aber zugleich auch ein
  herrliches Zeugnis von seinem Glauben und seiner Enthaltsamkeit gab. Er faßte
  das Wort ,Es gibt Verschnittene, die sich um des Himmelreiches willen selbst
  verschnitten haben' allzu wörtlich und unbesonnen auf. In dem Glauben, das
  Heilandswort zu erfüllen, und zugleich in der Absicht, damit jedem Verdachte
  und schändlicher Verleumdung, wie sie von heidnischer Seite wider ihn, den
  noch jugendlichen christlichen Lehrer nicht nur von Männern, sondern auch von
  Frauen erhoben werden könnten, den Boden zu entziehen, ließ er sich dazu
  hinreißen, dieses Herrenwort in die Tat umzusetzen."  
	
	6
  
  
	
  	
  
	 
  
  
  
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	b)
  
  Inneres Erlebnis
	
  
  
  
	Die ungeheure Arbeitsenergie des ORIGENES gilt
  der Heiligen Schrift, ihrem rechten Verständnis und ihrer Rechtfertigung
  vor der antiken Götterlehre, die gleichzeitig die römische Staatsreligion
  darstellt. Um der Auseinandersetzung mit dem Geist seiner Zeit gewachsen zu
  sein, um die christliche Lehre vor den Denkern seiner Epoche erfolgreich
  darstellen zu können, unternimmt ORIGENES ein gründliches Studium der
  Philosophie. Die damit in Zusammenhang stehenden wissenschaftlichen Streit-
  und Einzelfragen müssen uns hier nicht beschäftigen. Immerhin ist
  bemerkenswert, daß ORIGENES wahrscheinlich AMMONIOS SAKKAS, einen Vertreter
  des sogenannten mittleren Platonismus, zu seinen Lehrern zählte, bei dem auch
  PLOTIN studiert hat. Ein inneres Erlebnis, eine Art Bekehrung, läßt
  ihn in diesen frühen Jahren die weltlichen Werke aus seiner Bibliothek verkaufen.
  Der Erlös, eine regelmäßige Zuwendung von vier Oboloi, stellt ihn frei für
  die intensive Arbeit an der Bibel.
  
  
  
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	c)
  
  Lehrer
	
  
  
  
	Dieses Studium hat ihn bis an sein Ende
  begleitet, und Theologie blieb für ihn zuerst Bibelauslegung. In Predigten
  und Kommentaren hat er im Verlauf seines, für damalige Verhältnisse sehr
  langen, Lebens fast die gesamte Bibel des Alten und des Neuen Testaments
  interpretiert. Der Asket ORIGENES, der mit den bescheidensten Mitteln seinen
  persönlichen Unterhalt bestritt, bezeichnete sich selbst als hart. Für das
  antike Mönchtum wurde er zum prägenden Vorbild. Der Beiname „der Stählerne"
  oder „der Diamantene", mag ein Familienname sein; meistens wird diese
  Bezeichnung auf seinen asketischen Ernst und Arbeitseifer hin gedeutet.
  
  
  
	Von
  seinen Reiseaktivitäten ist eine mehrmonatige Fahrt nach Rom um 215 belegt;
  ORIGENES habe die dortige, im Vergleich mit Alexandreia schon ältere, Kirche
  kennenlernen wollen, heißt es bei EUSEBIOS. Von den Schriften aus dieser Zeit
  sind nur Bruchstücke erhalten.
  
  
  
	Ein
  wichtiger Förderer von Origenes' Arbeit ist ein gewisser Ambrosios, ein
  reicher Mann offenbar, der immer wieder in Vorworten anerkennende Erwähnung
  findet. Dieser Ambrosios, dem die Nachwelt es verdankt, daß von den
  Arbeiten des Kirchenvaters immerhin einiges erhalten geblieben ist, hat die
  materiellen Voraussetzungen für ORIGENES' weitgespanntes Schaffen gewährleistet,
  nämlich durch die Finanzierung einer Art Schreibbüro. EUSEBIOS:
  
  
  
	„Es
  standen nämlich Origenes beim Diktieren mehr als sieben Schnellschreiber zur
  Verfügung, welche sich zu bestimmten Zeiten ablösten; nicht geringer war die
  Zahl der Reinschreiber nebst den im Schönschreiben geübten Mädchen. Die für
  dieses ganze Personal notwendigen Ausgaben bestritt Ambrosios in reichlichem
  Maße. Ja er nahm sogar mit unsagbarem Eifer an der mühevollen Bearbeitung
  der göttlichen Schrift teil, wodurch er Origenes ganz besonders zur Abfassung
  seiner Kommentare antrieb."7
  
  
	
  
  
	Ambrosius fühlt sich seinem Lehrer ORIGENES zu
  großem. Dank verpflichtet. Durch die Begegnung mit ihm war er aus der
  geistigen Bindung an eine gnostische Sekte befreit worden. EUSEBIOS berichtet
  in diesem Zusammenhang über ORIGENES' Wirken und den Erfolg, aber auch über
  die umfassende Lehrweise, die auch profane Fächer einschloß:
  
  
  
	„Damals wurde auch Ambrosios, ein Anhänger der Häresie
  des Valentinos, durch die von Origenes verkündete Wahrheit überführt, so daß
  er, wie von einem Lichte innerlich erleuchtet, zur wahren Lehre der Kirche übertrat.
  Aber noch sehr viele andere gelehrte Männer kamen, da sich der Ruf des
  Origenes überallhin verbreitete, zu ihm, um einen Beweis von der Tüchtigkeit
  des Mannes in den heiligen Wissenschaften zu erhalten. Zahlreiche Häretiker
  und nicht wenige von den angesehensten Philosophen hörten mit Eifer ihm zu
  und ließen sich von ihm ebenso in den göttlichen Dingen wie auch in der
  heidnischen Philosophie unterrichten. Diejenigen, welche er für begabt
  erachtete, führte er nämlich auch in die philosophischen Fächer ein, indem
  er ihnen Unterricht in Geometrie, Arithmetik und den anderen grundlegenden
  Wissenschaften erteilte, sie mit den verschiedenen Systemen der Philosophen
  bekannt machte, deren Schriften erklärte, kommentierte und im einzelnen
  kritisierte, was ihm auch bei den Heiden den Ruhm eines großen Philosophen
  eintrug. Auch viele von denen, die der Bildung ferne standen, veranlaßte er
  zum Studium der allgemeinen Wissenschaften, indem er ihnen erklärte, daß sie
  damit eine nicht wenig nützliche Unterlage für das Verständnis der göttlichen
  Schriften gewönnen. Aus diesem Grunde hielt Origenes die Pflege der
  weltlichen Wissenschaften und der Philosophie für sich selbst für sehr
  notwendig."8
  
  
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
	Schon zu seiner Zeit und bis in die Gegenwart
  wurde die Frage gestellt: War denn dieser ORIGENES nicht eher ein Philosoph in
  der Nachfolge PLATONs denn ein Christ? Eine sehr frühe Antwort seitens eines
  heidnischen Philosophenkollegen zeigt die große Spannung zwischen griechischem
  Denken und christlichem Glauben auf, die aus ORIGENES' Werk tatsächlich
  herausgelesen werden kann. EUSEBIOS ist es wiederum, der uns den Ideenstreit
  überliefert:
  
  
  
	„Ich erwähne Porphyrios, der noch zu unserer Zeit
  in Sizilien gelebt hat und gegen uns Schriften verfaßte, in welchen er die göttlichen
  Schriften zu lästern suchte und der Bibelexegeten gedachte. Da er an den
  Lehren keineswegs etwas aussetzen konnte, verlegt er sich aus Mangel an
  Beschuldigungsgründen darauf, zu schimpfen und die Schrifterklärer zu
  verleumden, vor allem Origenes. Nachdem er gesagt, er habe ihn in seiner
  Jugend kennengelernt, sucht er ihn zu verlästern, empfiehlt ihn aber , ohne
  es zu merken. Wo er nicht anders konnte, berichtet er über ihn die Wahrheit;
  wenn er aber glaubte, daß man es nicht merke, ersinnt er über ihn Lügen.
  Bald macht er ihm den Vorwurf, daß er Christ sei, bald verwarf er seine
  Fortschritte in der Philosophie. Vernimm seine eigenen Worte!
  
  
  
	Da
  einige, statt sich von der Erbärmlichkeit der jüdischen Schriften abzuwenden,
  nach befriedigenden Lösungen suchten, verloren sie sich in verworrene, dem
  Texte nicht entsprechende Erklärungen, welche nicht so sehr eine Verteidigung
  der fremden, als vielmehr Anerkennung und Lob der eigenen Sache zum Ziele
  haben. Diese Exegeten reden groß daher, die klaren Worte des Moses seien Rätsel;
  sie verhimmeln dieselben als Gottesworte voll heiliger Geheimnisse und betören
  durch ihren Schwindel die Fähigkeit zur Kritik. [...] Diese törichte Methode
  möge man an einem Manne beobachten, mit dem auch ich in meiner frühesten
  Jugend verkehrt habe, nämlich an Origenes, der in hohem Ansehen stand und
  noch heute durch seine hinterlassenen Schriften in Ansehen steht und dessen
  Ruhm bei den Lehrern dieser Gedanken weit verbreitet ist! Er war Schüler
  des Ammonios, des verdientesten Philosophen unserer Zeit. Wissenschaftlich
  hatte Origenes von seinem Lehrer sehr viel gewonnen, doch schlug er - was
  die rechte Entscheidung fürs Leben anbelangt - einen entgegengesetzten
  Lebensweg ein. Ammonios nämlich wandte sich, obwohl von seinen Eltern als
  Christ im Christentum erzogen, sobald er zu denken und zu philosophieren
  anfing, sofort der den Gesetzen entsprechenden Lebensweise zu. Origenes aber
  irrte, obwohl als Grieche unter Griechen erzogen, zu barbarischer
  Dreistigkeit ab. Ihr zuliebe verkaufte er sich und seine Bildung. Sein Leben
  war das eines Christen und widersprach den Gesetzen. In seiner Auffassung von
  der Welt und von Gott dachte er wie ein Grieche und schob den fremden Mythen
  griechische Ideen unter. Ständig beschäftigte er sich nämlich mit Platon.
  Er war vertraut mit den Schriften des Numenios, Kronios, Apollophanes,
  Longinos, Moderatus, Nikomachos und der berühmten Männer aus der pythagoreischen
  Schule. Er benützte aber auch die Bücher des Stoikers Chairemon und des
  Cornutus, von welchen er die allegorische Auslegung der heidnischen Mysterien
  erlernte, und wandte diese Methode auf die jüdischen Schriften an.'
  
  
  
	So
  sagt Porphyrios im dritten Buch seiner Schrift ,Gegen die Christen'. Wahr ist,
  was Porphyrios über die Tätigkeit und das reiche Wissen des Origenes sagt.
  Doch lügt er offensichtlich, wenn er behauptet, Origenes sei vom Heidentum
  aus übergetreten und Ammonios sei vom gottesfürchtigen Leben zum Heidentum
  abgefallen. Wie konnte er, der gegen die Christen schrieb, anders als lügen?"9
  
  	
  
  
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	d)
  
  Priester
	
  
  
  
	28 Jahre lang hat ORIGENES in Alexandreia als
  Lehrer gewirkt, schon zu seiner Zeit in der ganzen damaligen Welt berühmt, so
  sehr, daß ihn selbst die Mutter des Kaisers Alexander Severus, Mammaea,
  um 232 nach Antiocheia einlud, um dort seine Vorträge zu hören. Reisen
  hatten ihn auch nach Athen und Kappadokien, nach Arabien und vor allem nach
  Palästina geführt. Durch seine Aufenthalte in Jerusalem und Kaisareia,
  lateinisch Caesarea Maritima, erwarb er sich dort zwar bischöfliche Freunde,
  ab er das ließ wiederum seinen Heimatbischof, Demetrios von
  Alexandreia, zu seinem Feind werden. Der Hintergrund ist verflochten und
  nicht gänzlich zu klären.
  
  
  
	ORIGENES,
  zu dieser Zeit zwar Lehrer in theologischen Dingen, sogar mit Billigung seines
  Bischofs, aber ohne die sakramentale Weihe eines Priesters, war in Palästina
  als Prediger im Gottesdienst aufgetreten, und zwar im Auftrag der dortigen
  Bischöfe. Seinem eigenen Bischof mißfiel dies. Ob es sich dabei nur um eine
  disziplinäre, kirchenrechtliche Angelegenheit handelte, um persönliche
  Animositäten, um einen Prestigekampf zwischen der Hierarchie und einem
  weltweit angesehenen Laien, oder aber, vielleicht auch gleichzeitig, um
  dogmatische Lehrstreitigkeiten, ist ungeklärt. Als jedoch die palästinischen
  bischöflichen Freunde den ORIGENES, der nun nicht aus ihrer Diözese stammte,
  gar im Jahre 230 zum Priester weihten, betrieb der eigentlich dafür
  zuständige Demetrios die Verurteilung des ORIGENES - wohl auch mit dem
  Hinweis auf das Alte Testament, ein Verschnittener könne gar nicht Priester
  werden. Damit war dem Wirken des ORIGENES in Alexandreia ein Ende gesetzt.
  Bittere Klagen sind darüber nicht überliefert, denn ORIGENES neigte nicht
  zum Kreisen um die eigene Person, sondern blieb ganz auf seinen
  geistig-geistlichen Auftrag gerichtet.
  
  
  
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	e)
  
  Kaisareia
	
  
  
  
	Jedenfalls zieht er - wohl 232 - nach Kaisareia
  und begründet dort eine neue Schule. Sie wurde berühmt, nicht zuletzt durch
  ihre Bibliothek, in der noch EUSEBIOS viele uns verlorengegangene
  Originalschriften einsehen konnte. Von nun an wirkt der berühmte Autor und
  Prediger hauptsächlich in Kaisareia. Und aus den nun folgenden Jahren sind
  wichtige und umfangreiche Schriften erhalten, wenn auch teilweise nur in
  lateinischer Übersetzung. Fast täglich war ORIGENES in den Gottesdiensten
  als Ausleger der Bibel aktiv, seine Schnellschreiber stenographierten viele
  seiner Homilien.
  
  
  
	Über
  die Lehrtätigkeit in Kaisareia, vor allem über die Ausstrahlung seiner
  Persönlichkeit, informiert auch eine Lobrede seines Schülers GREGOR, der später
  Bischof werden sollte und mit dem Beinamen Thaumaturgos, also Wundertäter,
  im Heiligenkalender steht.
  
  
  
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	f) Verfolgung
  und Tod 
  
  
	Unter Kaiser Maximinus Thrax (seine
  Regierungszeit ist 235 - 238) bricht eine neue Christenverfolgung aus, in
  der die Schrift „Über das Martyrium" entsteht, die ORIGENES einigen
  Glaubensbrüdern widmet, die in konkreter Gefahr sind. Das Werk erinnert uns
  an seine frühe Jugend, als er den Brief an den Vater im Gefängnis schrieb.
  ORIGENES, der für sich das Martyrium ersehnt hatte, wird dessen nicht gewürdigt.
  Doch unter Kaiser Decius (249 - 251) wird auch er verhaftet und schwer
  gefoltert. EUSEBIOS zählt auf:
  
  
  
	„seine
  vielen harten Leiden um der Lehre Christi willen, seine Einkerkerung und
  seine körperlichen Qualen, seine Schmerzen in den eisernen Ketten und in
  den Winkeln des Verlieses, die vieltägige Ausspannung seiner Füße. bis zum
  vierten Loche des Folterblockes, die Bedrohungen mit dem Feuertode, das
  geduldige Ertragen aller anderen von den Feinden ihm zugefügten Drangsale,
  den Abschluß des gegen ihn eingeschlagenen Verfahrens, wobei der Richter
  eifrigst mit allen Mitteln darnach strebte, ihn ja am Leben zu erhalten,
  ferner die von ihm sodann noch abgefaßten und hinterlassenen Schriften,
  welche für Trostbedürftige von großem Nutzen sind"10 
	.Die Absicht der Christentumsgegner, ORIGENES über
  Kerker und Folter zur Apostasie zu verleiten, scheiterte; der Abfall hätte
  unter den jungen Christen eine große Wirkung" gehabt. Andererseits
  suchte man auch nicht
  seinen
  Tod, weil man die Propagandawirkung des Martyriums fürchtete. ORIGENES aber
  starb, wohl auch infolge der erlittenen Quälereien, - so nimmt man an -
  zwischen 251 und 254. Sein Grab wurde noch im Mittelalter in Tyros gezeigt.
  EUSEBIOS kennt das genaue Datum nicht, vermerkt aber zur zeitlichen Einordnung
  dies:
  
  
  
	„Als
  [Kaiser] Decius, ohne ganze zwei Jahre regiert zu haben, zugleich mit seinen Söhnen
  ermordet wurde, folgte Gallus. Um diese Zeit starb Origenes im Alter von 69
  Jahren."11
  
  
  
  
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	4. Werke
  
  
  
	Wir
  wollen nun in die Werke des ORIGENES hineinlesen, einige wichtige
  Schriften wenigstens zitatweise kennenlernen. Doch dazu zunächst noch einige
  erläuternde Vorbemerkungen.
  
  
  
	Was
  ist eigentlich typisch für unseren ORIGENES, welches von seinen Büchern
  zeigt den wahren Kirchenvater? darf man fragen - und wird darauf keine
  eindeutige Antwort erhalten. Der Umfang des Werks ist zunächst einmal
  riesig. Von über zweitausend Büchern ist in der Antike übertreibend die
  Rede; immerhin überliefert der Übersetzer und spätere Origenes-Gegner
  HIERONYMOS recht umfangreiche Titellisten. Davon ist nur ein Bruchteil auf
  uns gekommen. Aber dieser Bruchteil umfaßt schließlich in der traditionsreichen
  Kirchenväterausgabe von Migne mehr als elftausend engbedruckte und schwer
  lesbare Spalten in griechischer und lateinischer Sprache. Noch in unserem
  Jahrhundert wurden Schriften oder Bruchstücke entdeckt im originalen
  Griechisch, und die Edition der Werke ist keineswegs abgeschlossen. In
  deutscher Sprache liegt keine vollständige Übersetzung vor. Die Hauptwerke
  jedoch, aus denen wir auch zitieren wollen, sind zugänglich, zumindest über
  Bibliotheken. Die Editionsgeschichte zeigt, wie mühsam und umstritten jede
  Herausgabe ist. Die Deutungen des origeneischen Werks, die Kontroversen und
  Einzeluntersuchungen füllen im wörtlichen Sinn ganze Bibliotheken.
  
  
  
	Dennoch
  wagen wir es, mit dem Vorbehalt des anthologischen Zugangs, über Ausschnitte
  auf ein komplexes Werk neugierig zu machen, übrigens blieb schon der
  christlichen Antike keine andere Wahl: Angesichts des Werkumfangs erstellten
  die Kirchenväter BASILEIOS DER GROSSE und GREGOR VON NAZIANZ im Jahre 360 die
  berühmte „Philokalia" - einen anthologischen Durchblick anhand ausgewählter
  Zitate.
  
  
  
	 
  
  
  
	Nach
  unserem biographischen Kurzbericht wollen wir also Einblick nehmen in die
  schriftliche Hinterlassenschaft des ORIGENES. Das brisante Frühwerk, das als De
  principiis lateinisch überliefert ist, und das zwanzig Jahre später
  verfaßte, in griechischer Sprache erhaltene apologetische Opus Contra
  Celsum (Gegen Kelsos also), diese beiden Schriften dienen uns als
  repräsentative Texte aus dem vielgestaltigen Gesamtwerk. Für die Vorstellung
  seiner exegetischen Arbeit sollen die Kommentare zum Matthäusevangelium und
  zum Römerbrief dienen.
  
  
  
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	a) De
  principiis 
  
  
  
	Zwischen 220 und 250 entstand das umstrittenste
  Werk, eine systematische Abhandlung über den christlichen Glauben, eigentlich
  die erste Glaubenslehre in Buchform. Sie trägt den griechischen Titel peri
  archon; uns ist davon aber nur eine lateinische Übersetzung erhalten, De principiis.
  Rufinus von Aquileja, der Übersetzer, hat das umfangreiche Werk auch gekürzt
  und bearbeitet; in seinem Vorwort nennt er aber ganz offen die Kriterien für
  seine Modifikationen: die Rechtgläubigkeit, wie sie damals verstanden wurde.
  
  
  
	Wohl
  schon zu der Zeit, als ORIGENES noch in Alexandreia wirkte, kam es zu
  Kontroversen um dieses Buch, mit einem Nachhall bis in unsere Zeit. Jedenfalls
  besteht durchaus die von PORPHYRIOS angemerkte Spannung zwischen Christentum
  und platonischer Philosophie in diesem „Grundlagen"-Werk, wie sich der
  Titel wiedergeben läßt.
  
  
  
	Mit
  größerer Nüchternheit als die Zeitgenossen des Alexandriners und seine späteren
  kirchlichen Gegner sehen die Theologen heute den Streit um dieses Buch. Mit
  gutem Recht geben die Fachleute zu bedenken: ORIGENES war ganz selbstverständlich
  ein Kind seiner Zeit, geprägt von der griechischen Kultur, namentlich von
  platonischem Gedankengut. Er hat eben versucht, in den Geist seiner Epoche
  hinein die Lehre des Christentums zu „inkulturieren" - wie wir heute
  sagen würden -, einzubringen in das Lebensgefühl, in die Ausdrucksmittel und
  Paradigmen seiner Zeit.  ORIGENES ging dabei Wege, die von der Schrift nicht
  immer gedeckt waren, vor allem nicht von der nachfolgenden theologischen
  Entwicklung.
  
  
  
	Ein
  zweiter Punkt: Bei den frühen kirchlichen Schriftstellern finden sich viele
  Äußerungen, die nicht mit dem Schrifttum, das als kanonische Bibel
  Anerkennung gefunden hat, übereinstimmen. Viele Zitate lassen sich ausfindig
  machen, die der späteren kirchlichen Lehrentwicklung nicht entsprechen;
  ORIGENES macht da gar keine Ausnahme. Die christliche Lehre war ja erst im
  Entstehen begriffen. Und ORIGENES ist und bleibt, trotz aller Vorbehalte in
  Einzelfragen, einer ihrer wichtigsten Begründer.
  
  
  
	Zu
  bedenken ist auch ein Drittes: Die großen dogmatischen Entscheidungen, die
  das spätere Glaubensbekenntnis prägten und, negativ abgrenzend, zur Abwehr
  sogenannter Häresien führten, diese Konzilsentscheidungen liegen ja erst nach
  der Lebenszeit des ORIGENES. Nach heutigem Verständnis kann man deshalb
  seine Rechtgläubigkeit nicht einfach nach Maßstäben bewerten, die es zu
  seiner Zeit noch gar nicht gegeben hat. Die heftigen Verurteilungen des
  ORIGENES, die dreihundert Jahre nach seinem Tod formuliert wurden, hatten wohl
  auch nicht immer nur echte origeneische Aussagen zum Inhalt und erfolgten
  nicht in der historischen und auch innerlichen Distanz, über die wir heute
  verfügen.
  
  
  
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	b) Reinkarnation
	
  
  
  
	Nehmen wir jetzt als ein Beispiel die Thematik
  der Reinkarnation, also die Idee von Seelenwanderung oder Wiedereinkörperung.
  Als ein heute durchaus aktuelles Thema bietet es einen Zugang zu dem zeitlich
  doch recht entlegenen Werk. Wie stellt sich ORIGENES zu dieser in der griechischen
  Antike ganz selbstverständlichen Vorstellung? Zwei Voraussetzungen sind hier
  zunächst festzuhalten. ORIGENES, und das ist die erste, sieht die Schöpfung
  in ihrem Ursprung als eine Welt der körperlosen Geister. Daß die Welt
  stofflich ist, daß Menschen einen Leib annehmen, ist für ihn erst die Folge
  eines Fehlverhaltens der Geistwesen, sozusagen Konsequenz eines vorkosmischen
  Sündenfalls. Die in vielen Weltentstehungen und Untergängen sich
  vollziehende Evolution des Kosmos und seiner Bewohner wird schließlich auch
  zurückkehren zum Ausgangspunkt, zum reinen Geist also. Hier verbindet sich,
  und das ist der zweite Punkt, eine Deutung des Sündenfalls, wie er in der
  Bibel und vor allem in außerbiblischen hebräischen Schriften beschrieben
  ist, mit dem zyklischen Weltbild des antiken Griechenland. Die
  Seelenwanderungslehre PLATONs und die bei ihm überlieferte Abfolge der großen
  Weltenjahre stehen im Hintergrund des origeneischen Frühwerks. ORIGENES
  bleibt in all diesen Aussagen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig
  lassen, immerhin vorsichtig, wenn er, zum Beispiel, vom Ende der Welt sagt:
  
  
  
	 
  
  
  
	„Dabei
  sprechen wir unsererseits mit großer Behutsamkeit, mehr als Untersuchende
  und Erörternde denn als fest und sicher Behauptende (cum magno metu et
  cautela). [...] Jedenfalls glauben wir, daß Gottes Güte durch seinen
  Christus die ganze Schöpfung zu einem einzigen Ende führen wird, in dem auch
  die Feinde unterworfen werden. [...] Wenn wir eine solche Vorstellung vom Ende
  haben, wo ,alle Feinde Christus unterworfen sind', wo ,als letzter Feind der
  Tod vernichtet wird', wo ,das Reich von Christus, dem alles unterworfen ist,
  dem Gott und Vater übergeben wird': dann können wir von diesem Ende her auf
  den Anfang der Welt blicken. Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und
  daher muß, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem
  angenommen werden; und so, wie die vielen Dinge ein Ende haben, so entspringen
  die vielen Unterschiede und Abweichungen aus einem Anfang."12
  
  	
  
  
	 
  
  
  
	Solche Vorstellungen trägt also ORIGENES an
  die Bibel heran. Als Beispiel die Geschichte von den verfeindeten Brüdern
  Esau und Jakob, in der die Zuneigung Gottes eigentlich dem Betrüger Jakob
  gilt, nicht dem erstgeborenen Esau. ORIGENES bezieht sich auf den Römerbrief,
  in dem Paulus über die Kinder Rebekkas die durchaus beunruhigende Bemerkung
  macht:
  
  
  
	„ihre Kinder waren noch nicht geboren und hatten
  weder Gutes noch Böses getan; damit aber Gottes freie Wahl und
  Vorherbestimmung gültig bleibe, nicht abhängig von Werken, sondern von ihm,
  der beruft, wurde ihr gesagt: 
  
	Der
  Ältere muß dem Jüngeren dienen;
  denn es steht in der Schrift: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt.
	13
  
	ORIGENES greift die Frage des Paulus: „Heißt
  das nun, daß Gott ungerecht handelt?"14 
	auf seine Weise auf
  und erklärt dieses Ärgernis reinkarnatorisch:
  
  
  
	„Wir müssen nur annehmen, daß [Jakob] auf Grund
  von Verdiensten eines früheren Lebens von Gott mit Recht geliebt wurde, so daß
  er auch nach Verdienst dem Bruder vorgezogen wurde. Dasselbe finden wir nun
  auch bei den himmlischen Geschöpfen; hier müssen wir beachten, daß diese
  Mannigfaltigkeit nicht der Urzustand der Schöpfung ist, sondern daß
  infolge vorangehender Ursachen jedem Wesen nach dem Wert seiner Verdienste
  vom Schöpfer ein Dienst zugewiesen wird, d. h. infolge der Tatsache, daß ein
  jeder, sofern er als Intelligenz oder als vernünftiger Geist von Gott
  geschaffen ist, entsprechend seinen geistigen Bewegungen und dem Denken seines
  Herzens sich selbst mehr oder weniger Verdienste erwirbt und für Gott liebenswert
  oder hassenswert wird."15
  
  
  
  
	„Denn
  Gott lenkt die Seelen nicht im Hinblick auf die, sagen wir, fünfzig Jahre des
  irdischen Lebens, sondern auf die unendliche Ewigkeit; denn er hat die
  geistige Substanz unvergänglich gemacht und ihm selbst verwandt, und die vernünftige
  Seele ist nicht von der Heilung ausgeschlossen, als wäre sie auf das Leben
  hier auf Erden beschränkt."16
  
  	
  
  
	Man
  kann
  
  
  
	„nur
  eine Erklärung geben, die die göttliche Vorsehung von jeglichem Vorwurf
  der Ungerechtigkeit freihält: nämlich, daß man bei ihnen gewisse frühere
  Ursachen annimmt; die Seelen hätten, bevor sie im Körper geboren wurden,
  irgendeine Schuld auf sich geladen in ihrem Denken oder in ihren Bewegungen,
  und dafür seien sie von der göttlichen Vorsehung zu Recht verurteilt worden,
  dies zu leiden. Denn die Seele ist immer freien Willens, sowohl wenn sie in
  diesem Körper ist, als auch wenn sie außerhalb des Körpers ist".17
  
  
  
  
	 
  
  
  
	ORIGENES vertritt also die Willensfreiheit
  gegen die Prädestination, eingebunden in die Wiedereinkörperungslehre,
  zumindest aber in die Vorstellung einer Inkarnation infolge vorgeburtlichen
  Fehlverhaltens. Auf diese Stellen aus dem Grundlagenwerk des ORIGENES, aus dem
  wir zitiert haben, berufen sich viele Anhänger der Reinkarnationslehre. Mit
  gutem Recht, so will es scheinen. Doch das ist nicht der ganze ORIGENES in
  dieser Frage. Wir wollen noch zwei Äußerungen zitieren, die ORIGENES etwa
  zwanzig Jahre später veröffentlicht hat, um das Jahr 250, nämlich in seinem
  Kommentar zum Matthäus-Evangelium und in der Verteidigungsschrift gegen Kelsos.
  
  
  
	Eine
  erste Bemerkung erfolgt eigentlich nur so nebenbei, sie ist aber dennoch
  deutlich. Zur Erklärung jener Stelle, in der Herodes Jesus als den wiedergekommenen
  Täufer Johannes bezeichnet, den er selbst hat umbringen lassen, heißt es bei
  ORIGENES:
  
  
  
	„Es
  könnte aber jemand sagen, daß Herodes und einige Leute aus dem Volke der
  irrigen Lehre von der Seelenwanderung anhingen, so daß sie meinten,
  derjenige, der einmal Johannes war, sei (neu) geboren worden und von den
  Toten als Jesus wieder ins Leben gekommen. Aber auch diesen Irrtum kann
  man nicht für wahrscheinlich halten, weil die Zwischenzeit zwischen der
  Geburt des Johannes und der Jesu nicht mehr als sechs Monate beträgt. 
	 18
  
  
  
  
	Im
  selben Matthäus-Kommentar nimmt ORIGENES zu einer weiteren, vielfach auf
  Reinkarnation gedeuteten Perikope Stellung. Ist Johannes der Täufer
  etwa der wiedergekommene Prophet Elija?
  
  
  
	 
  
  
  
	„Da
  fragten ihn die Jünger: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse
  Elija kommen? Er gab zur Antwort: Ja, Elija kommt, und er wird alles
  wiederherstellen. Ich sage euch aber: Elija ist schon gekommen, doch sie
  haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten."
	
  19
  
	
  
  
  
	ORIGENES gibt eine Antwort, die wiederum
  eindeutig ist. Und er nimmt die Schrift zum Zeugen gegen die von ihm früher
  vertretene Wiedereinkörperungslehre:
  
  
  
	„Dabei
  scheint mir nicht die Seele Elias genannt zu werden; ich möchte nämlich
  nicht in die Lehrmeinung von der Wiedereinkörperung verfallen, welche der
  Kirche Gottes fremd ist und weder von den Aposteln überliefert ist, noch
  irgendwo in den Schriften erscheint. Sie steht nämlich auch dem entgegen, daß 
	,das Sichtbare vergänglich' ist und daß diese Weltzeit eine Vollendung
  erfahren wird, aber auch <der Erwartung'», daß sich jenes Wort erfüllt:
  ,Der Himmel und die Erde werden vergehen' und jenes andere: ,Die Gestalt
  dieser Welt geht nämlich vorüber' und ,Die Himmel werden vergehen' und was
  sich daran anschließt."  20
  
  
  
  
	In
  einer weiteren Schrift des späten ORIGENES findet sich eine gleichsinnige
  Bemerkung. Sie steht in folgendem Zusammenhang: Kann denn die Weisheit der
  Alten wirklich standhalten gegenüber der Gotteslehre der Bibel, fragt
  ORIGENES ironisch-polemisch und spricht dabei auch die Seelenwanderungslehre
  an:
  
  
  
	„Wenn nun die Ägypter, um ihrer Lehre Würde zu
  verleihen, die Verehrung ihrer Tiere theologisch zu begründen suchen, so sind
  sie weise; wenn aber jemand, der dem Gesetz und dem Gesetzgeber der Juden
  zustimmt, alle Dinge allein auf Gott, den Schöpfer der Welt, zurückführt,
  so steht er in den Augen des Kelsos und seiner Gesinnungsgenossen
  tiefer als einer, der die Gottheit nicht bloß zu vernünftigen und
  sterblichen, sondern sogar bis zu den unvernünftigen Wesen herabzieht und
  noch mehr erniedrigt als die fabelhafte Lehre von der Seelenwanderung, nach
  welcher die Seele von dem Himmelsgewölbe herabfällt und bis zu den unvernünftigen
  Tieren, nicht nur den zahmen, sondern auch den wildesten, herabsteigt. Wenn
  die Ägypter solche Märchen erzählen, so glaubt man, sie hätten ihre
  philosophischen Meinungen in Rätsel und geheimnisvolle Worte gekleidet; wenn
  aber Moses, der für ein ganzes Volk schreibt, ihm seine Geschichte und seine
  Gesetze hinterläßt, so werden ,seine Worte' für ,leere Fabeln' angesehen,
  .die nicht einmal allegorische Auslegung zulassen'.21
  
  
  
  
	
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	c)
  
  Römerbrief
	
  
  
  
	Wer
  heute in Deutschland die Bibel liest, tut dies zumeist anhand einer revidierten
  Luther-Übersetzung oder er benutzt die neuere Einheitsübersetzung, nach
  der auch wir hier zitieren. Damit gerät automatisch der multikulturelle
  Kontext der frühen Christenheit aus dem Blick. Der Apostel Paulus zum
  Beispiel, dessen Brief an die Römer wir jetzt zum Thema machen wollen, kann
  sich auf seine römische Staatsbürgerschaft berufen - er ist in Tarsus
  geboren, im Gebiet der heutigen Südosttürkei. Seine Religion ist natürlich
  die jüdische; als Schriftgelehrter liest er die Bibel hebräisch. Aber er ist
  auch griechischer Kultur und verfaßt seine Briefe an die von ihm betreuten
  Gemeinden in griechischer Sprache.
  
  
  
	Für ORIGENES wiederum ist das Griechische wohl
  die Muttersprache, und aus diesem Vorteil heraus steht er recht unabhängig
  dem griechischen Text des Neuen Testaments gegenüber. Er scheut sich nicht,
  penible Fragen nach der Satzstruktur zu stellen und nimmt sich auch die
  Freiheit, das Griechisch des Apostels Paulus zu kritisieren. Er macht sich so
  seine Gedanken und mutmaßt, in welchen Städten Paulus wohl seine Texte verfaßt haben könnte, und er geht auch dem Argumentationsduktus nach, wenn
  er zum Beispiel zum Römerbrief bemerkt:
  
  
  
	„So
  wie der Apostel Paulus den Brief komponiert hat, wirkt die Gedankenfolge
  fast im gesamten Text ziemlich inkonsequent. Denn einmal richtet sich sein
  Wort gegen die Heiden, ein anderes Mal tritt es mildernd für sie ein."22
	
  
  
  
  
	Nicht
  uninteressant, ja für die meisten Leser überraschend, ist auch eine
  Anmerkung zu den persönlichen Verhältnissen des Völkerapostels, die sich
  auf frühe christliche Autoren stützen kann:
  
  
  
	„Paulus ist nach der Überlieferung gewisser Leute
  als Verheirateter berufen worden. Er spricht von seiner Frau im Brief an die
  Philipper: ,Ich bitte auch dich, treue Gefährtin, nimm dich ihrer an!' Weil
  er mit ihrem Einverständnis von ihr frei wurde, nennt er sich einen Sklaven
  Christi. Wenn er aber, nach der Meinung anderer, als Freier berufen wurde, ist
  er nichtsdestoweniger Sklave Christi."23
  
  
  
  
	Auch für heutige Leser dürfte nun doch sehr
  aufschlußreich sein, wie sich der Märtyrersohn ORIGENES, der die
  Christenverfolgungen seiner Zeit erleben muß, gerade zu jener zentralen
  Stelle des Römerbriefs stellt, die das Verhältnis zur Staatsmacht anspricht.
  Die Verse l bis 7 aus Römer 13, die wir zunächst im Zusammenhang zitieren,
  haben bekanntlich bis in unsere Gegenwart die Geister beunruhigt. Es heißt da
  wörtlich:
  
  
  
	„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt
  den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von
  Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen
  Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm
  entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat
  sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne
  Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so daß du ihre
  Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, daß du das Gute
  tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt
  sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem,
  der Böses tut. Deshalb ist es notwendig. Gehorsam zu leisten, nicht allein
  aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist
  auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln
  jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid,
  sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre."
  24 
  
  
  
	Die Gewissensnot, die diese Stelle bei vielen
  Christen unter diktatorischen Regimen ausgelöst hat, ist bekannt. Es scheint,
  ORIGENES, der seinen Römerbriefkommentar in den Jahren 243 und 244 verfaßt
  hat, ist durch das Paulus-Wort nicht in tiefe Skrupel verfallen. Ein
  Ausschnitt aus seiner Deutung dieser berühmt-berüchtigten Stelle:
  
  
  
	„Laßt uns also jetzt sehen, was der Apostel im
  Folgenden noch anfügt: 
	Jede Seele sei den höheren Gewalten Untertan. 
  Meiner Meinung nach hat er es hier sehr gut gemacht, daß er den Ausdruck
  ,Seele' gebraucht, wenn er den Auftrag gibt, sie solle den Gewalten
  unterworfen sein. Niemals nämlich hätte er gesagt, jeder Geist solle sich
  der Gewalt unterwerfen, sondern jede ,Seele'. Von dieser Unterscheidung haben
  wir schon oft geredet und gesagt, der Mensch werde manchmal durch die Seele,
  manchmal durch das Fleisch und manchmal durch den Geist bezeichnet. Doch wenn
  er vom besseren Teil her bestimmt und als geisterfüllter Mensch verstanden
  werden soll, wird er ,Geist' genannt, wenn vom niedrigeren Teil her, ,Seele',
  wenn er aber seinen Namen vom schlechtesten Teil her bekommt, wird er
  ,Fleisch' genannt. [...] Weil der Apostel den Glaubenden Vorschriften gibt,
  will er jetzt also, daß wir, soweit es an uns liegt, die Ruhe und den Frieden
  in diesem gegenwärtigen Leben bewahren. [...] Auch unser Herr hat nämlich
  gesagt, solche, die in sich die Aufschrift des Kaisers hätten, sollten dem
  Kaiser zurückgeben, was des Kaisers ist. [...]
  
  
	
	Denn
  es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt.
	
	Jemand sagt vielleicht: Wie denn? Ist auch die
  Gewalt, welche die Diener Gottes verfolgt, den Glauben bekämpft und die
  Religion umstürzt, von Gott? Darauf wollen wir kurz antworten. Jeder weiß, daß das Sehvermögen uns von Gott geschenkt wurde wie auch das Gehör und
  das Empfindungsvermögen. Obwohl wir dies also von Gott haben, steht es
  trotzdem in unserer Macht, daß wir das Sehvermögen zum Guten oder zum
  Schlechten gebrauchen [...]; darum ist das Urteil Gottes gerecht, weil wir
  mit dem, was er uns zum guten Gebrauch gegeben hat. Mißbrauch treiben und es
  uns zum Gottlosen und Schlechten dient. So ist also auch alle Gewalt von Gott
  gegeben, damit sie das Böse bestraft, das Gute dagegen anerkennt'
  [...] 
  
  
	Und
  darum sagt Paulus: Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt
  sich gegen die Ordnung Gottes [...]. Hier spricht er nicht von den
  Gewalten, die Verfolgungen gegen den Glauben anzetteln; in einem solchen Fall
  muß man nämlich sagen: ,Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.'
  [...] ,[Es] bewegt mich, daß Paulus die weltliche Gewalt und den weltlichen
  Richter als im Dienst Gottes stehend bezeichnet; und das sagt er nicht einmal,
  sondern wiederholt es ein zweites und drittes Mal. Ich möchte also gern
  erforschen, wieso der weltliche Richter Gottes Diener ist. Wir haben eine
  Stelle in der Apostelgeschichte entdeckt; dort steht geschrieben, daß die
  Apostel zusammenkamen und Verordnungen erließen, die wir als solche, die aus
  dem Heidentum zum Glauben an Christus gekommen sind, befolgen sollten. Unter
  ihnen befindet sich auch Folgendes [...]: ,Der Heilige Geist und wir haben
  also beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen
  Dinge: Enthaltung von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und das Meiden von
  Unzucht. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl.' Mit
  diesen Geboten [...] werden weder Mord noch Ehebruch noch Diebstahl oder
  gleichgeschlechtlicher Verkehr noch auch die übrigen Laster, die von göttlichen
  und menschlichen Gesetzen bestraft werden, verboten. [...] Die übrigen
  Verbrechen werden ja durch die weltlichen Gesetze bestraft. [...] Denn nicht
  alle Verbrechen, die Gott bestraft haben will, wollte er bestraft haben durch
  die Bischöfe und Leiter der Gemeinden, sondern er wollte sie bestraft haben
  durch den weltlichen Richter. Im Wissen darum nennt Paulus ihn mit Recht den
  Diener Gottes, der den bestraft, der das Böse tut. [...]
  
  
  
	Wenn
  wir nämlich zum Beispiel annehmen, die an Christus Glaubenden seien den
  weltlichen Gewalten nicht unterworfen, sie brauchten keine Steuern zu zahlen
  und keine Abgaben zu entrichten, niemandem Ehrfurcht und Achtung zu erweisen,
  würden sie nicht dadurch mit Recht die Waffen der Regierenden und Fürsten
  gegen sich kehren und ihre Verfolger entschuldbar, sich selbst aber schuldig
  machen? Sie würden dann nämlich nicht mehr wegen ihres Glaubens, sondern
  wegen Widersetzlichkeit bekämpft. [... ]
  
  
  
	Denn wenn 
	wir den Weinberg des Herrn bearbeiten und den wahren Weinstock, der Christus 
	ist, in uns wachsen lassen, werden wir den weltlichen Dienern von diesem 
	Weinstock keine Steuern entrichten, sondern wir werden
  dem Herrn selbst zur rechten Zeit die Früchte abliefern" .25
  
  	
  
  
  
	
  
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	II.
  ORIGENES UND DIE FOLGEZEIT
  
  
  
	 
  
  
  
	Die
  Lektüre alter Autoren bedeutet kein reines Vergnügen, vielmehr Anstrengung
  und Herausforderung an die Geduld. ORIGENES stellt wegen des Umfangs und der
  problematischen Überlieferung seines Werkes ganz besondere Anforderungen an
  den Leser. Die gelehrten Übersetzer und Ausdeuter haben mit ihren
  Editionsproblemen, Interpretationen und Detailstreitigkeiten eine kaum mehr
  überschaubare Literaturflut erzeugt. Keine Deutung ist unwidersprochen
  geblieben, selbst zur puren Biographie werden unterschiedliche Daten
  vorgebracht. Schließlich eröffnet der Blick auf die Wirkung des ORIGENES für
  die nachfolgende Kirchen- und Theologiegeschichte ein weiteres riesiges
  Spektrum an Meinungen und Gegenentwürfen.
  
  
  
	Doch
  es gibt ein Spätwerk des ORIGENES, das man auch heute noch geradezu mit
  Faszination lesen kann. Erkennen wir doch darin, trotz des großen zeitlichen
  und kulturellen Abstandes, so manches Problem wieder, das uns auch gegenwärtig
  bewegt. Wir sprechen von den acht Büchern gegen KELSOS, den es zunächst
  vorzustellen gilt.
  
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	1.
  Kelsos
  
  
  
	 
  
  
  
	KELSOS
  ist uns ausschließlich deshalb bekannt geblieben, weil eben ORIGENES ihn
  recht ausführlich zitiert, um ihn dann zu widerlegen. Allein aus den umfänglichen
  Zitaten bei ORIGENES konnte das Werk rekonstruiert werden. Und diese
  Auseinandersetzung des ORIGENES mit des KELSOS' 
  Schrift -Das wahre Wort oder Die wahre Lehre - ist
  durchaus ein geistiges Vergnügen, wenn man die Beschäftigung mit Weltbildern
  nicht als einen Zeitverlust ansieht. Was will dieser KELSOS? Der griechische
  Philosoph in später Nachfolge PLATONS - ORIGENES verunglimpft ihn als
  Epikureer -, KELSOS sieht im Auftauchen des Christentums eine
  Krisenerscheinung des Römischen Reiches, die es zu bekämpfen gilt. Es geht
  ihm um die Aufrechterhaltung des antiken Götterkults, dem er, wohl gegen Ende
  des zweiten Jahrhunderts, seine Streitschrift widmete. Er hat offenbar
  Judentum und Christentum gründlich studiert, kennt also seine Gegner aus
  ihren eigenen heiligen Schriften und vermag sogar die verschiedenen
  Meinungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Als ORIGENES im reifen Alter,
  jedenfalls nach 245 - so rechnen die Gelehrten - auf Drängen seines
  Freundes AMBROSIOS zu einer Widerlegung ansetzt, ist KELSOS bereits nicht
  mehr am Leben. Offenbar aber hat dessen Schrift unter den Gebildeten der Zeit
  hinreichend Furore gemacht, so daß nicht wenige Christen verunsichert wurden.
  
  
  
	KELSOS
  ist um eine Rückführung der Neubekehrten zum Heidentum bemüht, nicht
  zuletzt im Interesse der Stabilität von Staat, Gesellschaft und Kultur. Doch
  seine Ausführungen rechtfertigen gleichsam auch die staatliche
  Christenverfolgung: indem er nämlich die Christen für nichts anderes als
  Aufrührer erklärt, die sich von irrwitzigen Lehren hätten verführen lassen,
  statt ihre Pflichten als Untertanen zu erfüllen, zu denen ja auch das Opfer
  vor der Kaiserstatue gehört.
  
  
  
	ORIGENES
  seinerseits unternimmt es, den eigenen Glaubensgenossen Argumente zu liefern,
  mit denen sie diese damals offenbar verbreiteten Angriffe abzuwehren
  vermochten. Gleichzeitig zielt ORIGENES auf die geistig Aufgeschlossenen und
  religiös Suchenden unter den Heiden. Jedenfalls entwirft er eine vitale und
  polemische Apologie seiner Religion, in die wir nun - sie hat in der deutschen
  Übersetzung gut 800 Seiten - wenigstens hineinlesen wollen. Dafür wählen
  wir Angriffe des KELSOS gegen den jüdischchristlichen Gottesbegriff und
  gegen den von ihm lächerlich gemachten angeblichen Messias Jesus Christus.
  
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	a) Pantheon
	
  
  
  
	 
  
  
  
	KELSOS verteidigt das Pantheon der griechisch-römischen
  Welt mit der Arroganz des griechischen Intellektuellen gegenüber einem Volk
  von Viehtreibern:
  
  
  
	„Ihrem
  Führer Moses sind die Ziegenhirten und Schafhirten gefolgt und haben sich
  durch plumpen Trug einreden lassen, es gebe nur einen einzigen Gott."26
  
  	
  
  
	ORIGENES
  argumentiert dagegen zunächst im Rahmen der antiken Göttervorstellungen,
  um dann - abstrakter - den neuen Gottesbegriff von Juden und Christen zu begründen.
  
  
  
	„Wenn
  nun diese .Ziegenhirten und Schafhirten' ohne allen vernünftigen Grund, wie
  er meint, die Verehrung der Götter aufgegeben haben, so möge er zeigen, wie
  er selbst die Annahme der Menge von Göttern bei den Griechen oder den übrigen
  nichtgriechischen Völkern rechtfertigen kann. Er weise uns also das Dasein
  und die Wirklichkeit der Mnemosyne nach, mit welcher Zeus die Musen, oder der
  Themis, mit welcher er die Hören gezeugt hat, oder er lege dar, daß die
  stets unbekleideten Grazien wirklich existieren können. [...] Wie viel
  wirkungsvoller nun und besser als diese Phantasiegebilde ist es, aus den
  sichtbaren Dingen die Überzeugung von der guten Ordnung der Welt zu
  gewinnen und ihren Schöpfer, den einen der einen Welt, zu verehren, die ganz
  mit sich selbst zusammenstimmt und deshalb nicht das Werk von vielen Schöpfern
  sein kann; [...] Denn alle Dinge sind Teile der Welt, Gott aber ist kein Teil
  des Ganzen, da Gott nicht unvollkommen sein darf, wie der Teil unvollkommen
  ist."27
  
  	
  
  
	[Kelsos:]
  „Die Ziegenhirtcn und Schafhirten haben nur einen einzigen Gott angenommen,
  sei es nun, daß sie ihn den Höchsten oder Adonai oder den Himmlischen oder
  Sabaoth, oder sei es, daß sie diese Welt so oder so zu nennen belieben; und
  eine weitere Erkenntnis haben sie nicht gewonnen. [...] es [macht] nichts aus,
  ob man den über allen waltenden Gott Zeus [nennt], wie die Griechen es tun,
  oder ob man ihm den zum Beispiel bei den Indern oder den bei den Ägyptern üblichen
  Namen [gibt]."
  
  
  
	„Wir
  erwidern darauf: Bei der vorliegenden Frage kommt die tiefe und geheimnisvolle
  Lehre von dem Wesen der Namen in Betracht; ob, wie Aristoteles meint, die
  Namen ihr Dasein dem Übereinkommen verdanken, oder, wie die Stoiker glauben,
  einen natürlichen Ursprung haben, wonach die ersten Laute die Dinge, für die
  die Namen bestimmt waren, nachgeahmt hätten [...] oder ob, wie Epikur,
  abweichend von den Stoikern, lehrt, die Namen daher einen natürlichen
  Ursprung haben, daß die ersten Menschen bei [dem Anblick] der Gegenstände
  gewisse Laute ausgestoßen hätten. Wenn wir nun in einer besonderen
  Untersuchung die Natur wirksamer Namen darlegen können, [...] dann werden
  wir sagen dürfen, daß die Namen Sabaoth, Adonai und alle die ändern, die
  bei den Hebräern mit großer Feierlichkeit überliefert werden, nicht für
  beliebige und gewordene Dinge, sondern mit Rücksicht auf eine gewisse
  geheimnisvolle Theologie gebildet worden sind, die sich auf den Schöpfer des
  Weltalls bezieht."28
  
  	
  
  
	„Wir
  wollen aber auch den folgenden Abschnitt bei Kelsos betrachten, wo er
  gleichsam jemand redend einführt, der nach dem Anhören der besprochenen
  Worte folgende Fragen stellt:
  
  
  
	,Wie
  soll ich also Gott erkennen? Und wie den Weg erfahren, der zu ihm führt? Und
  wie willst du mir Gott zeigen? Denn jetzt wirfst du mir ja Finsternis vor
  die Augen, und ich sehe nichts Deutliches.'
  
  
  
	Dann
  gibt er gleichsam auf diese bekümmerten Fragen Antwort und glaubt die
  Ursachen nennen zu können, warum auf die Augen des Sprechers der vorher erwähnten
  Worte Finsternis gebreitet ist; er sagt:
  
  
  
	,Wenn
  man diese aus der Finsternis zum hellen Licht herausführte, so würden sie,
  da sie den Strahlenglanz nicht aushallen könnten, an ihrem Gesichte
  gestraft und geschädigt und glaubten, geblendet zu werden.'
  
  
  
	Hierauf
  wollen wir erwidern, daß alle diejenigen ,in Finsternis sitzen' und in ihr
  ruhen, die ihre Augen auf die schlechten Künste der Maler und Bildner und
  Bildhauer richten, die nicht aufwärts schauen und ihren Geist nicht von all
  den sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Dingen wegwenden und zu dem Schöpfer
  des Weltalls erheben wollen, welcher ,das Licht' ist; daß dagegen jeder ,im
  Lichte' verweilt, der ,dem Strahlenglanze' des Wortes gefolgt ist, das ihm
  zeigt, mit welcher großen Unwissenheit und Gottlosigkeit und Unkenntnis des göttlichen
  Wesens diese Bilder von ihm an Stelle Gottes angebetet wurden, und das den
  Geist desjenigen, der gerettet werden will, zu dem ungewordenen und allmächtigen
  Gott hinführt. Denn ,das Volk, das in Finsternis saß', die Heiden nämlich,
  .erblickte ein großes Licht, und denen, die im Land und Schatten des Todes saßen,
  ist ein Licht aufgegangen', der Gott Jesus.
  
  
  
	Es
  wird also kein Christ dem Kelsos oder irgendeinem anderen Ankläger der göttlichen
  Lehre Antwort geben und sagen: .Wie soll ich Gott erkennen?' Denn ein jeder
  Christ hat nach Möglichkeit Gott erkannt. Und keiner fragt: ,Wie soll ich den
  Weg erfahren, der zu ihm führt?' Denn er hat die Worte vernommen: Jch bin der
  Weg und die Wahrheit und das Leben' und bei dem Wandeln [auf diesem Wege]
  den Nutzen gekostet, der daraus entspringt. Und kein Christ dürfte wohl den Kelsos fragen: ,Wie willst du mir Gott zeigen?' 
	29
  
  	
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	b) Der Gott Jesus, der Sohn Gottes
  
  
  
	 
  
  
  
	Die
  Auseinandersetzung um den Stifter des Christentums führt KELSOS ausführlich
  und mit besonderer Schärfe. Die Juden seien da doch nur einem Betrüger
  aufgesessen.
  
  
  
	[Kelsos:]
  „Dieser hat erst vor ganz wenigen Jahren diese Lehre eingeführt und ist von
  den Christen für den Sohn Gottes gehalten worden."30
  
  	
  
  
	„Wer
  die Tatsachen prüft, wird erkennen, daß Jesus Größeres, als menschliche
  Natur vollbringen kann, unternommen, und daß er das Unternommene auch ausgeführt
  hat. Denn obwohl von Anfang an alle der Ausbreitung seiner Lehre über den
  ganzen bewohnten Erdkreis entgegentraten, die jedesmaligen Kaiser, deren
  Oberfeldherren und Statthalter und mit einem Wort alle, denen irgendeine
  Gewalt übertragen war, ferner auch die Obrigkeiten in den Städten, die
  Truppen, die Gemeinden, so errang er doch den Sieg, da er seiner Natur nach
  als Gottes Wort nicht gehemmt werden konnte; und da er stärker war als viele
  gewaltige Gegner, so bezwang er ganz Griechenland und einen großen Teil der
  übrigen Länder und bekehrte unzählige Seelen zu der von ihm verkündeten
  Gottesverehrung. Notwendigerweise mußten aber unter der großen Masse der von
  Gottes Wort Unterworfenen ,die einfältigen und ungelehrten Leute' weit
  zahlreicher als die Gebildeten sein, je zahlreicher eben die einfältigen und
  ungelehrten Leute sind im Vergleich zu den wissenschaftlich gebildeten. [...]
  
  
  
	Hierauf
  läßt Kelsos einen Juden auftreten, der sich mit Jesus selbst unterredet
  und ihn, wie er meint, wegen vieler Dinge zur Rechenschaft zieht. Zuerst
  wirft er ihm vor, ,daß er sich fälschlich als den Sohn einer Jungfrau
  ausgegeben habe', er schmäht ihn aber auch, ,daß er aus einem jüdischen
  Dorf und von einer einheimischen armen Handarbeiterin stamme'. Er sagt
  dann,
  .diese
  [ist] von ihrem Manne, der seines Zeichens ein Zimmermann gewesen, verstoßen
  worden, als des Ehebruchs schuldig. [...] unstet und ehrlos umherirrend, [hat]
  sie den Jesus heimlich geboren. Dieser [hat] aus Armut sich nach Ägypten als
  Tagelöhner verdungen und dort sich an einigen Zauberkräften versucht, auf
  die die Ägypter stolz [sind]; er [ist] denn auch zurückgekehrt und [hat]
  sich viel auf diese Kräfte eingebildet und sich ihretwegen öffentlich als
  Gott erklärt.'"31
  
  	
  
  
	„Unser
  Jesus dagegen, dem es zum Vorwurf gemacht wird, daß er aus einem Dorfe
  stammt, das zudem auch nicht in Griechenland gelegen ist, und auch nicht einem
  Volke angehört, das bei der großen Menge in Ansehen steht, und der geschmäht
  wird, weil er ,der Sohn einer armen Handarbeiterin' war und ,wegen Armut' sein
  Vaterland verließ und ,in Ägypten um Lohn diente' [...] - er hat es
  vermocht, die ganze von Menschen bewohnte Erde in höherem Grade in Bewegung
  zu setzen, nicht bloß als der Athener Themistokles, sondern auch als
  Pythagoras und Platon und einige andere Weisen oder Könige oder Feldherrn
  irgend welchen Landes der Erde.32 [...]
  
  
	
	Außerdem
  dürfte man sich wundern, woher die Jünger Jesu zu dem Entschluß kamen,
  furchtlos dasselbe wie ihr Meister leiden zu wollen, mutig allen Gefahren
  entgegenzugehen und die Heimat zu verlassen, um die ihnen von Jesus überlieferte
  Lehre nach seinem Willen zu verkünden, ohne daß sie doch, wie die Verleumder
  Jesu sagen, seine Auferstehung von den Toten gesehen, oder die Überzeugung
  gewonnen hatten, daß jener etwas Göttliches sei.33
  
  
	
	Doch
  wir wollen uns nun wieder zu den Worten zurückwenden, die Kelsos den Juden
  sagen läßt, zu der Behauptung nämlich, ,die Mutter Jesu [ist] von dem
  Zimmermanne, mit dem sie verlobt war, verstoßen worden, weil sie des
  Ehebruchs überführt worden [ist] und von einem Soldaten namens Panthera
  geboren [hat]'. Wir wollen sehen, ob nicht die Fabeldichter ins Blinde hinein
  ,den Ehebruch der Jungfrau mit Panthera' und ,die Vertreibung durch den
  Zimmermann', dies alles erfunden haben, um so die wunderbare Empfängnis vom
  Heiligen Geiste zu beseitigen. Sie hätten ja doch auf andere Weise die
  Geschichte wegen ihrer Unbegreiflichkeit verdächtigen können und nicht
  gleichsam wider Willen die Tatsache zuzugeben brauchen, daß Jesus nicht aus
  einer gewöhnlichen ehelichen Verbindung hervorgegangen ist. Und es war
  folgerichtig, daß die Leute, die die wunderbare Geburt Jesu nicht gelten
  lassen wollten, irgendeine Lüge ausdachten.34 
	[...]
  
  
  
	Es
  scheint mir nun nicht nötig zu sein, die folgenden Worte des Kelsos zu bekämpfen,
  da sie nicht im Ernst, sondern im Spott gesagt sind:
  
  
  
	,Ob
  nun die Mutter Jesu schön war, und Gott sich wegen ihrer Schönheit mit ihr
  verband, obwohl er seiner Natur nach keinen sterblichen Körper lieben
  konnte? Indessen war es gar nicht wahrscheinlich, daß der Gott sie lieben würde,
  da sie weder begütert noch von hoher Geburt war, denn niemand kannte sie,
  nicht einmal ein Nachbar. Als sie sich den Haß des Zimmermanns zuzog und
  von ihm verstoßen wurde [...], hat ihr weder göttliche Macht noch die Gabe
  der Überredung Rettung verschafft. Diese Dinge also [...] haben gar keine
  Beziehung auf das Reich Gottes.'
  
  
  
	Unterscheiden
  sich denn solche Reden wohl von dem Geschwätz jener Leute, die auf öffentlicher
  Straße andere schmähen und nichts sagen, was der Aufmerksamkeit wert ist?35
	[...] [Dann] behauptet Kelsos,
  der
  Ausspruch gegen die Reichen: ,Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr
  gehe, als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingehe', [ist] geradezu aus
  Platon genommen, indem Jesus den platonischen Satz: .Unmöglich ist es, daß
  ein hervorragend guter Mensch zugleich auch hervorragend reich sei', verfälscht
  [hat].'
  
  
  
	Wo
  findet sich nun einer, nicht nur unter den Anhängern Jesu, sondern auch unter
  den übrigen Menschen, der, wenn er die Sachlage nur ein wenig zu beurteilen
  vermag, nicht über Kelsos lachen würde, sobald er ihn behaupten hört, Jesus, 
	der bei den Juden geboren und erzogen und für ,den Sohn des Zimmermanns 
	Joseph' gehalten wurde, der nicht nur nicht in den Wissenschaften der 
	Griechen, sondern nicht einmal in denen der Hebräer unterrichtet worden ist, 
	was ja auch die wahrheitsliebenden [heiligen] Schriften von ihm bezeugen, 
	habe den Platon gelesen".36
  
  	
  
	 
  
  
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	c) Christen und Staatsmacht
	
  
  
  
	 
  
  
  
	Ein letztes Zitat aus der Überfülle der
  origeneischen Apologie gegen KELSOS bezieht sich auf das Verhältnis der
  Christen zur Staatsmacht, wie dieses sich in der von wiederholten
  Verfolgungen gezeichneten Lebenszeit unseres Autors darstellte. Von KELSOS
  stammte die Forderung an die Christen: „dem Kaiser beistehen mit aller
  Kraft, mit ihm für das uns abmühen, was recht ist, für ihn kämpfen und,
  wenn die Not es fordert, mit ihm ins Feld rücken und mit ihm seine Truppen
  anführen".
  
  
  
	[Origenes:] „Darauf haben wir zu sagen, daß wir zu
  rechter Zeit den Herrschern .beistehen', und zwar sozusagen mit göttlicher
  Hilfe, da wir ,die Waffenrüstung Gottes' anlegen. Und dies tun wir, gehorsam
  dem Apostelwort, das so lautet: ,Ich ermahne euch nun zuerst, zu vollziehen
  Bitten, Gebete, Fürbitten, Danksagungen für alle Menschen, für Könige und
  für Obrigkeiten'. Und je frömmer jemand ist, um so mehr richtet er durch
  seine den Herrschern geleistete Hilfe aus, auch mehr als die Soldaten, die
  zur Feldschlacht ausziehen und so viele von den Feinden vernichten, als sie
  imstande sind. [...] Wir vernichten aber mit unseren Gebeten auch alle Dämonen,
  welche die kriegerischen Unternehmungen anstiften und Eide brechen und den
  Frieden stören, und helfen dadurch den Herrschern mehr als die Personen,
  welche äußerlich zu Felde ziehen.37 [...]
  
  
	
	Verlangt
  aber Kelsos von uns, daß wir ,zur Verteidigung des Vaterlandes' auch ,die Führung
  von Truppen' übernehmen, so mag er wissen, daß wir auch dieses tun, und zwar
  nicht in der Absicht, um von den Menschen gesehen zu werden und bei ihnen
  eitlen Ruhm zu ernten. Denn im Verborgenen und in unserm Herzensinnern sind
  die Gebete, die, wie von Priestern, von uns für das Wohl unserer Mitbürger
  zum Himmel emporgesandt werden. Die Christen aber erweisen ihrem Vaterlande
  mehr Wohltaten als die übrigen Menschen. Denn sie unterrichten die Bürger
  und lehren sie fromm zu sein gegenüber dem über der Stadt waltenden Gott
  [...]38
  
  	
  
  
	Wenn
  nun die Christen die Übernahme von staatlichen Ämtern ablehnen, so tun sie
  das nicht, um sich den gemeinsamen Dienstleistungen des bürgerlichen Lebens
  zu entziehen, sondern um sich für den göttlicheren und notwendigeren
  Dienst an der Kirche Gottes zum Wohl der Menschen zu erhalten. Hier haben
  sie in notwendiger und zugleich in gerechter Weise die Leitung und sind für
  alle besorgt: für diejenigen, welche der Kirche angehören, daß sie täglich
  sittlicher leben, und für diejenigen, welche außerhalb der Kirche stehen, daß
  sie zu den heiligen Worten und Werken des [christlichen] Glaubens
  gelangen."  39
  
  	
  
  
	Dieser Einblick in die Kontroversen der frühen Kirche
  mit der antiken Welt kann allenfalls neugierig machen, aber nicht die Lektüre
  der (noch heute gängigen) Argumente des KELSOS und die Entgegnungen des
  ORIGENES in der ersten christlichen Apologetik ersetzen. Aber auch jenseits
  von Bekenntnis oder Ablehnung des Christentums erleben wir an diesem Werk
  den ideengeschichtlich spannenden Zusammenstoß zweier Weltbilder. Die neue
  christliche Weltanschauung versucht, in einem ihr fremd gewordenen und
  feindlich gegenüberstehenden Umfeld argumentativ Fuß zu fassen, die
  Sprache und die Bildwelt des Gegners aufzunehmen und neu zu wenden.
  
  
 
  
	 
  
  
  
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	2.
  Verurteilung des Origenes
  
  
  
	 
  
  
  
	Die
  Geschichte des Christentums kennt ein Kapitel, das in den Handbüchern unter
  „origenistische Streitigkeiten" firmiert. Für die Entwicklung der
  Theologie im Morgen- und Abendland sind diese Auseinandersetzungen
  folgenreich gewesen, für die Werküberlieferung aber katastrophal. Die
  Verurteilungen des ORIGENES als Ketzer hatten zur Konsequenz, daß seine
  Schriften systematisch vernichtet wurden, uns deshalb nur ein Bruchteil der
  griechischen Werke sowie verändernde lateinische Übersetzungen zugänglich
  sind. Diese Bruchstückhaftigkeit der Überlieferung ist mit dafür
  verantwortlich, daß ein zuverlässiges und einheitliches Bild von der Lehre
  des Kirchenvaters nicht existiert. Daß sich das Denken des ORIGENES selbst im
  Laufe seines langen Schaffens auch gewandelt hat, wie wir am Beispiel der
  Reinkarnationsidee gesehen haben, ist bei einem großen Geist eigentlich
  nichts Überraschendes. Die geistige Entwicklung bei ORIGENES selbst und die
  problematische Tradierung der Schriften führen dazu, daß nur selten
  Eindeutigkeit darüber besteht, was als verbindliche Aussage betrachtet
  werden darf. Wie man sieht: Die reiche geistige Tradition, wie sie die
  Geschichte des christlichen Denkens hervorgebracht hat, zeigt auch eine
  beschwerliche Seite.
  
  
  
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	a.)   
  
  
	Augustinus
	
  
  
  
	 
  
  
  
	Schon zu seinen Lebzeiten hatte ORIGENES begeisterte
  Anhänger und heftige Gegner. Aber die großen Auseinandersetzungen begannen
  erst Ende des 5. Jahrhunderts. Einen namhaften Kritiker findet er, am Beginn
  des fünften Jahrhunderts, in AUGUSTINUS, dem einzigen der Kirchenväter, der
  in seiner Bedeutung mit ORIGENES zu vergleichen ist. In De Civitate Dei
  lesen wir diese Kritik an der origeneischen Lehre vom Abfall der Seelen:
  
  
  
	„Man
  sagt, die Seelen hätten gesündigt und hätten daher in verschiedenen
  Abstufungen, je nach Maßgabe ihrer Sünden verschiedene Körper gleichsam als
  Fesseln erhalten, und diese Fessel sei die sichtbare Welt, und darin liege der
  Grund für die Weltschöpfung, durch die also nichts Gutes ins Dasein gerufen,
  sondern Böses eingedämmt werden sollte. Daraus macht man mit Recht dem
  Origenes einen Vorwurf. Er hat nämlich in der Tat in seinem Werk, das er Peri archon betitelt, diese Anschauung vertreten. Unsagbar muß ich mich
  wundern, wie hier ein Mann, der in den Büchern der Kirche so außerordentlich
  unterrichtet und bewandert war, nicht beachtet hat, daß die Schrift bei allen
  Werken Gottes hinzufügt: ,Und Gott sah, daß es gut war', auf daß so als
  Grund der Schöpfung der (sichtbaren) Welt nahegelegt werde, alles sei als
  Gutes von der Gutheit Gottes geschaffen."40
  
  	
  
  
	 
  
  
  
	 
  
  
  
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	b) Anathematismen
	
  
  
  
	
	  
  
  
  
	Mit besonderer Schärfe erfolgt die Auseinandersetzung
  aber im 6. Jahrhundert, als der große Alexandriner ausdrücklich und
  wiederholt zum Ketzer erklärt und einige seiner Werke kirchenamtlich als häretisch
  indiziert wurden. Als Bibelausleger blieb er jedoch bis in die Neuzeit
  anerkannt, und seine Lehre vom mehrfachen Schriftsinn hat in der
  christlichen Exegese große Wirkungen gezeitigt. Da aber ORIGENES auch Überzeugungen
  verbreitet hat, denen die Lehrentwicklung nicht folgen konnte, wurden diese
  auf einer späteren Stufe theologischer Erkenntnis verurteilt.
  
  
	
	Wir
  wollen auch diese Anathematismen, also Verurteilungen, kennenlernen,
  wenn auch gleich hinzuzufügen ist: Die Forschung ist sich nicht einig, ob
  damit wirklich immer nur Lehren des ORIGENES getroffen werden. Jedenfalls
  haben diese Verurteilungen Kirchengeschichte geschrieben und haften bis heute
  dem „Erzhäretiker" an.
  
  
	
	Zur
  Geschichte kurz dies: In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts wirkte
  in Ägypten der Mönch EUAGRIOS PONTIKOS, der in seinen Predigten und
  Schriften auch origenistische Lehren vertrat. Orientalische Mönche, die
  unter dem Einfluß von dessen Gedankengut standen, gerieten in der ersten Hälfte
  des 6. Jahrhunderts in Streit mit Origenes-Gegnern. Der Konflikt wurde vor den
  Kaiser JUSTINIAN gebracht, der sich selbst als Theologe verstand und der sich
  wiederum in einem Edikt des Jahres 543 an den Patriarchen von Konstantinopel
  namens MENAS wandte. Der Ton ist auffällig aggressiv und gilt auch Aussagen,
  die sich bei ORIGENES gar nicht finden:
  
  
  
	„Nachdem also die Dinge sich so verhalten und die
  von Origenes ausgesprochenen Lästerungen allen offenbar geworden sind,
  ziemt es sich, folgendermaßen den Bann über ihn ergehen zu lassen:
  
  
  
	Wenn
  einer sagt oder dafürhält, die Seelen der Menschen seien präexistent
  gewesen, insofern sie früher Intelligenzen und heilige Mächte gewesen seien;
  es habe sie aber Überdruß ergriffen an der Schau Gottes und sie hätten sich
  zum Schlechteren gewendet; darum seien sie abgekühlt von der Liebe zu Gott, hätten
  davon den Namen .Seelen' bekommen und seien zur Strafe in Körper
  hinabgeschickt worden - so sei er im Banne.  
  
	
	
	Wenn
  einer sagt oder dafürhält, die Seele des Herrn sei präexistent gewesen
  und geeint mit dem Gott-Logos vor der Fleischwerdung und Geburt aus der
  Jungfrau - so sei er im Banne. Wenn einer sagt oder dafürhält, daß zuerst
  der Leib unseres Herrn Jesus Christus im Schöße der heiligen Jungfrau
  gebildet wurde, und danach der Gott-Logos und die Seele als präexistente mit
  ihm vereinigt wurden - so sei er im Banne.
  
  
	
	
	Wenn
  einer sagt oder dafürhält, der Gott-Logos sei allen himmlischen Ordnungen
  gleich geworden, indem er für die Cherubim ein Cherub und für die Seraphim
  ein Seraph wurde und schlechthin allen Mächten in der Höhe gleich wurde - so
  sei er im Banne. 
  
	
	
	Wenn einer sagt oder dafürhält, daß bei der Auferstehung
  die Leiber der Menschen kugelförmig erweckt werden, und wenn er nicht
  bekennt, daß wir aufrecht erweckt werden - so sei er im Banne.
	
	
	Wenn einer
  sagt oder dafürhält, der Himmel, die Sonne, der Mond, die Sterne und die
  Wasser über den Himmeln seien beseelte und vernünftige Mächte - so sei er
  im Banne.
  
  
  
	Wenn einer sagt
  oder dafürhält, der Herr Jesus Christus werde in der kommenden Weltzeit für
  die Dämonen gekreuzigt werden, so wie (er) auch für die Menschen (gekreuzigt
  wurde) - so sei er im Banne. 
  
	
	Wenn einer sagt oder dafürhält, Gottes Macht
  sei begrenzt, und er habe (nur) soviel geschaffen, wie er umfassen und denken
  konnte; oder die Geschöpfe seien gleich ewig mit Gott - so sei er im Banne.
	
	Wenn einer sagt oder dafürhält, die Bestrafung der Dämonen und der
  gottlosen Menschen sei zeitlich und werde zu irgendeiner Zeit ein Ende haben;
  oder es werde eine Wiederbringung von Dämonen oder gottlosen Menschen geben
  - so sei er im Banne. 
  
	
	Der Bann (sei gesprochen) über Origenes, der auch Adamantios heißt, welcher dies ausgesprochen hat, samt seinen abscheulichen
  und fluchwürdigen Lehren, und über jede Person, die dies denkt oder
  verteidigt oder in irgendeinem Punkt überhaupt zu irgendeiner Zeit dies zu
  vertreten wagt."41
  
  	
  
  
	Inhaltlich gingen diese Verurteilungen auch in die
  Dokumente des 2. Konzils von Konstantinopel von 553 ein und entfalteten von
  da an eine fatale Wirkung für das Werk des ORIGENES, wenn sich seine tatsächlichen
  Aussagen von den Verurteilungen auch nur teilweise getroffen sehen müssen.
  Im abschließenden 15. Kanon gegen die Origenisten heißt es in den Konzilserklärungen
  noch einmal wörtlich:
  
  
	
	„Wenn
  einer sagt: Der Zustand der Intelligenzen werde der gleiche sein wie früher,
  als sie noch nicht herabgestiegen oder gefallen waren, so daß der Anfang
  gleich dem Ende ist und das Ende das Maß des Anfangs - so sei er im
  Banne."42
  
  	
  
  
	
	 
  
  
  
	Hier klingt also erneut die berühmt-berüchtigte
  apokatastasis panton an, die Wiederherstellung aller Dinge, der Begriff, der
  am engsten mit dem Namen des ORIGENES verbunden geblieben ist. Der große
  Kirchenvater konnte sich nicht mit dem Bild eines allmächtigen und zudem
  guten Schöpfers abfinden, von dem auch eine ewige Strafe in den Qualen der Hölle
  ausgehen sollte. Nicht einmal der oberste aller Teufel, meint ORIGENES, müsse
  letztlich mit einer immerwährenden Verdammnis rechnen, und um dieser Möglichkeit
  des Heils für alle, der Wiederherstellung aller Dinge in ihrem ursprünglich
  gewollten Zustand willen, läßt ORIGENES Äonen um Äonen ablaufen, damit
  auch der Letzte und der Schlimmste zur Anschauung Gottes heimkehren möge.
  Dieser Gedanke, sei er auch in der Geschichte der Kirche so manches mal für
  häretisch erklärt worden, macht unseren ORIGENES so sympathisch. In einer
  Zeit, in der die Heilsgewißheit noch geringer ist als die Unheilssicherheit,
  tritt uns ein erfrischender Denker entgegen, der unsere zeitgenössische Häresie
  ganz und gar nicht teilt: die fatale Anthropozentrik, das Kreisen der
  Theologie um den Menschen. In unserem Jahrhundert haben namhafte Theologen
  die Rehabilitierung des Häretikers betrieben. Kein geringerer als Hans Urs
  von BALTHASAR hat ORIGENES deshalb so hoch geschätzt, weil er eine ewige
  Verdammnis mit der Güte Gottes nicht in Einklang bringen konnte.
  
  
  
	Gleichzeitig
  sind Sondergruppen daran interessiert, ihre eigenen Lehren mit dem Namen des
  großen Verfolgten zu schmücken. Die Wirkung des origeneischen Denkens ist
  also noch keineswegs an ein Ende gekommen. Heutige Beurteilungen
  haben jede Polemik verloren, zeigen eher eine milde Ironie, wie sie der Tübinger
  Kirchenhistoriker Hermann Josef VOGT zum Ausdruck bringt, den wir
  stellvertretend für die neuere Origenes-Forschung zitieren:
  
  
  
	„Warum
  also wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Erstens, weil er Aufgaben nicht
  gelöst hat, die ihm in seiner Zeit gar nicht gestellt waren! Was mit ihm
  geschah, war also nicht Vergangenheitsbewältigung, die ja die Vergangenheit
  als das zu nehmen hat, was sie war, sondern an Origenes geschah
  Vergangenheitsvergewaltigung. Zweitens wurde Origenes verurteilt, weil man die
  Art seines fragenden, tastenden Theologisierens und Exegesierens nicht mehr
  verstanden hat.
  
  
  
	Drittens
  aber auch, - das sei bei aller Sympathie für Origenes [...] nicht verschwiegen
  - weil er vielleicht doch zu vorwitzig war und nicht nur mit Gedanken
  umgegangen ist, sondern bis zum Ende seines Lebens auch Lehren festgehalten
  hat - wie die Präexistenz der Seelen, - die sich mit dem Glauben, mit der
  Gesamtaussage der Heiligen Schrift endgültig nicht vereinbaren lassen, die
  er aber wohl geändert hätte, wenn die Kirche ihm eine klare anderslautende
  Lehre hätte vor Augen stellen können; denn Mann der Kirche wollte er immer
  sein."43
  
  	
  
  
	Zu
  Lebzeiten des ORIGENES war das Christentum eine kleine Sekte, die sich
  allenthalben bedroht fühlen mußte. Trotz der Verfolgungen - oder vielleicht
  gerade deshalb - entwickelte die neue Religion eine ungeheure Strahlkraft. In
  der Gegenwart kann von äußerer Bedrohung nicht die Rede sein, aber auch
  nicht mehr von Strahlkraft, jedenfalls nicht in der westlichen Welt. Die
  christliche Weltanschauung scheint zu den absterbenden Traditionen des
  Abendlandes zu gehören, denen eine diffuse Moderne gegenübersteht, Verständnis-
  und beziehungslos weithin. Es sieht zwar nicht danach aus, als sei heute eine
  neue, für die Zukunft siegreiche Weltanschauung im Entstehen, die eine überzeugende
  Breitenwirkung zu entfalten vermöchte. Dennoch ist augenfällig, daß das
  Christentum in unseren Breiten dabei ist, für viele Menschen seine Funktion
  zu verlieren.
  
  
  
	Wie in 
	der Antike, wird sich die christliche Religion neu verständlich machen müssen.
  Frauen und Männer vom Maß der Kirchenväter sind den Kirchen zu wünschen.
  
  
  
	Dem
  großen Denker vom Beginn, ORIGENES, wollen wir, mit einer Aussage über die
  Menschwerdung des Erlösers, das Schlußwort überlassen:
  
  
  
	„Aber von all dem Wunderbaren und Großen bei ihm
  geht doch dies über die Bewunderung des menschlichen Geistes hinaus, und die
  Schwäche des sterblichen Verstandes hat keinen Weg gefunden, es zu denken und
  zu begreifen: daß diese große Macht der göttlichen Majestät, eben dieses
  Wort des Vaters und Gottes Weisheit selbst, in welcher ,alles geschaffen ist,
  das Sichtbare und das Unsichtbare', in den engen Grenzen jenes Menschen, der
  in Judäa erschien, anwesend war, wie der Glaube sagt; daß Gottes Weisheit in
  den Schoß einer Frau einging, als Kind geboren wurde und weinte wie alle
  kleinen Kinder; ferner daß er beim Sterben in Angst war, wie es berichtet
  wird und er selbst es bekannte, als er sagte: .Meine Seele ist betrübt bis an
  den Tod'; und schließlich, daß er den Tod erlitt, der unter den Menschen als
  größte Entehrung gilt, wenngleich er am dritten Tag wieder auferstand. Wir
  finden also manches bei ihm, das so menschlich ist, daß er sich nicht von der
  allgemeinen Gebrechlichkeit der Sterblichen unterscheidet, und anderes, das
  so göttlich ist, daß es einzig zu dem ersten und unaussprechlichen Wesen
  der Gottheit paßt. Da stockt der beschränkte menschliche Verstand und weiß,
  von Staunen ergriffen, nicht, wozu er sich neigen, was er festhalten, wohin er
  sich wenden soll. Wenn er Gott denkt, sieht er einen Sterblichen; wenn er
  einen Menschen annimmt, erblickt er einen Sieger über das Reich des Todes,
  der mit der Beute aus dem Totenreich zurückkehrt. [...]44
  
  
  
  
	Das
  waren die Dinge, die uns jetzt in den Sinn kamen, da wir das überaus
  schwierige Thema der Fleischwerdung und Gottheit Christi erörterten. Wenn
  einer etwas Besseres zu finden vermag und seine Lehre mit klareren Beweisen
  aus der heiligen Schrift stützen kann, so mag seine Lehre statt der unsrigen
  angenommen werden."45
  
  
  
  
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