C.S. Herr Schenkel, können sie mir und unseren Lesern 
						von ihrer Nahtoderfahrung berichten?
						
						 
						
						W:S: 
						Ja gerne, es geschah als ich knapp 43 Jahre alt war. An 
						einem ganz normalen Arbeitstag, am 17. Oktober 2003  kam 
						ich von der Spätschicht nach Hause. Schon beim 
						Zubettgehen hatte ich Schüttelfrost und am nächsten Tag 
						bereits über 40 Grad Fieber. Der gerufene Hausarzt kam 
						aber leider erst nach vielen Stunden - zu spät aus 
						heutiger Sicht. Als Vorgeschichte muss noch gesagt 
						werden, dass ich einen angeborenen Herzklappenfehler 
						hatte.  
						
						Das 
						verordnete Antibiotikum nützte nur wenig, das Fieber 
						blieb auch am zweiten Tag hoch. Der nochmals gerufene 
						Hausarzt wies mich ins Caritas-Krankenhaus nach Bad 
						Mergentheim ein. Inzwischen hatte ich schon 41 Grad 
						Fieber, konnte aber immer noch auf eigen Füßen zum 
						Krankenwagen gehen. An die Ankunft im Krankenhaus kann 
						ich mich nur noch wage erinnern. 
						
						 
						
						Die 
						Ärzte am Caritas-Krankenhaus versuchten zunächst das 
						Fieber zu senken. Als meine Frau den angeborenen 
						Herzklappenfehler erwähnte, wurde ich umgehend mit dem 
						Rettungshubschrauber nach Bad Neustadt an der Saale 
						verlegt. Das Krankenhaus in Bad Mergentheim war auf 
						diese Komplikation nicht eingerichtet. Die Ärzte legten 
						mich zuvor noch in ein künstliches Koma um meinen 
						Organismus weitgehend zu schonen. Meiner Frau wurde vor 
						dem Abflug geraten, sie solle sich in Ruhe von mir 
						verabschieden, denn sie wüssten nicht, ob ich lebend 
						zurückkehren werde. Später erfuhr ich, dass ein 
						septisches Multiorganversagen mit bakteriellem Befall 
						der Herzklappe vorlag. Das war natürlich eine extrem 
						harte Situation für meine Frau und nachträglich auch für 
						mich. In Bad Neustadt wurde mir am 21.10 eine künstliche 
						Herzklappe eingesetzt, wachte aber nach der erwarteten 
						Zeit von 4 Tagen nicht mehr auf. Die Ärzte gaben aber 
						die Hoffung nicht auf, da ich ansonsten gesunde Organe 
						hatte. 
						
						 
						
						Die 
						Nahtoderfahrung kann ich zeitlich nicht in meine 
						mehrwöchige Komazeit einordnen. 
						Zwar kann ich mich 
						schwach daran erinnern, dass ich, über dem 
						Operationstisch schwebend das Geschehen unter mir 
						beobachten konnte, aber das folgende Ereignis, das mich 
						so nachhaltig beschäftigen sollte, fiel vermutlich in 
						eine andere Phase meiner Komazeit.
						
						Ich 
						saß in weißer Kleidung wie auf einer Art Wartebank. Ich 
						habe permanent mit jemandem gekämpft der immerzu um mich 
						herum agierte, den ich aber nicht deutlich wahrnehmen 
						konnte. Unter mir befand sich eine Art Friedhof mit 
						offenen Gräbern. Ich hatte das schreckliche Gefühl, dass 
						ich als nächster dran war dort „unter die Erde gebracht“ 
						zu werden. Ich kämpfte darum, dass dies nicht geschehen 
						sollte. Mein Gedanke war – „Ja, merkt denn der nicht 
						dass ich noch lebe.“
						
						
						 Plötzlich befand ich mich in einem langen Gang, der 
						über mir begann. Ob ich eine Kleidung oder gar Körper 
						hatte, kann ich gar nicht sagen, fühlte mich aber ganz 
						gesund und vollständig. Ich ging diesen Gang entlang 
						dessen Wände zum Ende hin immer heller und wärmer 
						wurden. Das Ende überstrahlte ein helles Licht. Mein 
						ganzes Trachten war wieder zu meiner Familie und meinen 
						Verwandten zurück zu finden. In der Mitte des Ganges 
						angelangt, hörte ich ganz deutlich eine männliche 
						Stimme: „Wo willst du hin?“ Meine Rückfrage war, was 
						mich denn erwarten würde wenn ich weiterginge. Die 
						Stimme antwortete: „Wenn du in diese Richtung 
						weitergehst, kommst du nicht mehr dorthin, wo du 
						herkommst.“ Die Stimme war ganz deutlich, ich habe sie 
						jetzt noch im Ohr. Es war sogar eine mir bekannte und 
						vertraute Stimme. Meine Antwort war ganz eindeutig, dass 
						ich dorthin wollte wo ich herkam, nämlich zu meiner 
						Familie. Dann wieder die Stimme: „Dann drehe um und gehe 
						zurück.“  So drehte ich mich um, um zurückzugehen. In 
						diesem Moment war alles verschwunden.  Ich kann bis zum 
						heutigen Tage, 9 Jahre später, nicht nachvollziehen, zu 
						wem diese Stimme gehört.
						
						 
						
						
						
						C.S: Viele Nahtoderfahrere berichten, dass sie sich von 
						dem Licht am Ende stark angezogen fühlten. Wie war das 
						bei Ihnen? 
						
						
						
						 
						
						W.S. 
						Das Licht hatte mich in diesem Moment gar nicht 
						interessiert. Ich wollte einfach zurück. Ich hatte 
						Kinder, eine Frau und gerade ein Haus gebaut. Was mich 
						in dem Licht erwartete wusste ich ja nicht. 
						
						
						Meine 
						Frau vermutet, dass der Moment der Umkehr derjenige war, 
						als die Geräte ein erstes  Zeichen von Wiederkehr nach 
						fast 5 Wochen Koma signalisierten. Meine Familie hatte 
						schon alles vorbereitet, falls ich nicht mehr aufwachen 
						würde. Die Ärzte hatten schon viele Patienten, die 
						länger als die normale Zeit im Koma blieben, aber eine 
						so lange Zeit hatten sie noch nie in diesem Krankenhaus 
						erlebt.
						
						 
						
						Als 
						mein Bewusstsein langsam wiederkehrte, war ich mir aber 
						noch nicht klar darüber, ob ich am richtigen Ort 
						angekommen war. Ich konnte meine Frau noch nicht 
						erkennen und sprach mit allen die an mein Bett kamen 
						hochdeutsch um sicher zu gehen, dass man mich auch 
						verstehen konnte. Erst nach und nach wurde mir die reale 
						Situation bewusst. Ich war halbseitig gelähmt, konnte 
						weder gehen noch selbständig essen. Es folgten ein 
						weiterer Krankenhausaufenthalt in Würzburg und eine 
						Anschlussheilbehandlung in Bad  Kissingen. 
						
						
						 
						
						In der 
						Zeit danach beschäftigte mich immerzu die Frage, zu wem 
						diese vertraute Stimme gehört. Ich bin mit meiner Frau 
						alle Lebenden und Verstorbenen durchgegangen. Aber 
						niemandem konnte ich diese Stimme zuordnen. Ich wusste 
						nun nicht mehr, was ich mit diesem Erlebnis anfangen 
						sollte. War ich noch normal? Die Fragen haben mich aber 
						so nachhaltig  beschäftigt, dass ich während meiner 
						2.Reha in Bad Wimpfen im Juni 2004 ein Gesprächsangebot 
						des dortigen Psychiaters wahrnahm. Er gab mir die  
						beruhigende Erklärung, es sei bekannt, dass Menschen in 
						tiefem Koma bewusste Erlebnisse haben können. 
						
						
						 
						
						Ich 
						habe mich auch später nicht mit Nahtoderfahrungen 
						anderer Menschen beschäftigt - ich wollte mit dem Thema 
						nicht mehr konfrontiert werden. Ich hatte panische Angst 
						vor Friedhöfen, weil diese mich an den schlimmen ersten 
						Teil meines Erlebnisses erinnerten. Erst nach Jahren war 
						ich zum ersten Mal in der Lage an einem Friedhof 
						wenigstens nur vorbeizugehen. Meine Frau hatte oft 
						versucht mich zum Besuch eines Friedhofes zu bewegen. 
						Bei dessen Anblick sah ich nur geöffnete Gräber und 
						diejenigen die dort lagen. Der ganze schreckliche Kampf 
						während meiner Nahtoderfahrung lebte wieder in mir auf. 
						Ich konnte weder die schönen Blumen auf den geschmückten 
						Gräbern noch die beruhigende Stille der Friedhöfe 
						wahrnehmen. Erst nach vier Jahren war ich zum ersten Mal 
						wieder in der Lage einen Friedhof zu betreten und 
						zwischenzeitlich bin ich sogar auf wieder bei 
						Beerdigungen gewesen. Heute kann ich sagen, dass ich 
						meine Nahtoderfahrung verarbeitet habe. Wer der Urheber 
						der vertrauten Stimme war interessiert mich natürlich 
						immer noch. Ich kann aber diese unbeantwortete Frage in 
						Ruhe offenstehen lassen.  
						
						 
						
						
						
						C.S: Was hat sich für Sie seit ihrer Nahtoderfahrungen 
						an der Einstellung zum Leben geändert?
						
						
						
						 
						
						W.S: 
						Ich bin ganz sicher, dass jeder Mensch eine Seele hat, 
						die sich vom Körper trennen kann. Auch lebe ich meinen 
						katholischen Glauben viel bewusster als vorher. Früher 
						hatte ich mich mit jemandem unterhalten und Stunden 
						später konnte ich mich nicht mehr erinnern mit wem ich 
						gesprochen hatte. Das geschieht mir heute nicht mehr. 
						Heute lebe ich jeden Moment bewusster und intensiver. 
						Ich trinke und esse ganz bewusst und gehe mit den 
						Kindern und meiner Frau viel aufmerksamer um als früher.